Weyoun hat geschrieben: Mo 13. Jun 2022, 15:22
Ganz genau! Man müsste der Hardware einfach nur vorausschauend ausreichend viel RAM und Prozessorleistung zur Verfügung stellen (zum Zeitpunkt der Vorstellung unter 50 % Auslastung), damit im Laufe der Zeit neue Software-Features nicht zu einer 100-%-Auslastung führen.
Das wird z.T. ja auch gemacht, allerdings sind viele Geräte so preiswert, dass ein Vorhalten zunächst ungenutzter Prozessor-Leistung zu einem Preis führt, der die Käufer dazu bewegen könnte, direkt ein anderes Gerät vom Mitbewerber zu kaufen, das günstiger ist. Daher muss man aufpassen, was man da tut. Da haben sich schon manche verspekuliert.
Und so arg viel wüsste ich auch nicht, was man bei HIFI vorhalten könnte - es sein denn, es handelt sich um ein System, in das der Kunde nach eigenem Gusto Funktionen nachrüsten kann. Mein letzter Kunde z.B. produziert solche Systeme: Messgeräte, in denen sich der Ingenieur selber FPGA-Funktionen einbauen und reinladen kann. Auch mein System soll das mal können, wenn es kommerzialisiert wird.
Bei den klassischen Consumergeräten sehe ich das aber nicht:
Aktive Lautsprecher, DSP-basierte Verstärker oder elektronische Musikinstrumente kann man und muss man weitgehend ins Ziel bauen, weil die Margen so gering sind, dass sich im Nachhinein keiner mehr groß um SW kümmern kann und soll. Bei Musikinstrumenten ist es zudem noch so, dass das, was man als "Software" später kaufen soll, die Patches sind, mit denen Geld verdient werden soll. Um die eigentliche Software und deren bugs kümmert sich da keiner mehr. Die drei großen japanischen Keyboardhersteller sind in vielen Foren massiv in Verruf geraten, weil sie genau solche Strategien fahren: Lieber ein neues Gerät, lieber eine neue (alte) Sound-collection, statt die Macken am aktuellen Gerät zu beseitigen - obwohl vielfach leicht möglich.
Und was das updaten angeht, ist das für die Firma auch ein Risiko - siehe Oszilloskope: Dort herrscht ein massiver Preiskampf und man bekommt Spitzentechnik fast hinterher geworfen. Es sind nur SW-Limits eingebaut, die man per upgrade aufheben kann. Extrembeispiel ein Oszi von Siglent, das in der einfachen 2-Kanal-Version mit 70MHz deutlich unter 1000,- zu haben ist, aber schon physikalisch alles für 4 Kanal, erweiterten Speicher und SW-Analysetools drin hat - einfach, weil es sich nicht lohnt, mehrere Geräte und Chips zu bauen. Wenn man das maximale Bandbreitenupdate auf 350MHz mit allen Zusatzoptionen nimmt, kommt man auf fast 2000,- Mehrkosten.
Jetzt könnte man sagen, sehr gut, das ist ja genau das, was Weyoun beschreibt:
Man baut kosteneffektiv eine günstige Universalhardware und upgraded sie im Laufe der Zeit und macht so sein Geld und der Kunde zahlt nur, was er braucht. Win-Win! Klappt aber nicht, weil die upgrade-SW sofort gehackt wird und von erfahrenen Ingenieuren selber auf das OSZI aufgespielt wird. Damit gibt es den breiten Markt für die Vollausbaugeräte nicht, den man eigentlich fokussiert hatte und die upgrade-SW wird nur von Firmenkunden gekauft, die sich das hacken rechtlich nicht leisten können.
Bei der SW-Landschaft ist überall viel Wildwuchs entstanden und man muss als Hersteller genau überlegen, was man upgradfähig macht und auch von wem, weil HW auch nachgebaut wird. Nehmen wir den Fall des Salea-Logic-Analyzers: Es gibt 20x mehr SW-Installationen im Markt, als die HW verkauft haben, weil es etliche Plagiate davon gibt.
Auch als Kunde muss man aufpassen: Gerade ging es wieder durch das Keyboarderforum, dass Yamaha eine alte Workstation aufgelassen hat und nicht mehr unterstützt. Es gibt jetzt für die neue, um sie puschen (?) allerlei downloads kostenlos, wofür user noch vor Monaten richtig Geld abgedrückt hatten. Die sind jetzt sauer! Mit solchen Strategien begeistert man keine Kunden.
Was ich mir vorstellen könnte (und in ähnlicher Weise auch gibt
)
Man bringt einen "digitalen Verstärker" mit einem speziellen Modulationsverfahren, das man in die SW packt und preisgünstig angeboten wird. Dann wartet man, bis das Patent der Konkurrenz für das am Markt vorherrschende Verfahren abgelaufen ist und liefert seinen Kunden ein SW-update mit diesem Verfahren, um den Klang zu verbessern- bzw mehr Leistung rauszuholen. Gute Ideen, hat aber nicht wirklich eingeschlagen, weil ein Dritthersteller ein Verfahren von einem Consultant
bekommen hat, das im Prinzip so wie die goldene Lösung funktioniert, aber das Patent sauber umgeht.
Das Problem ist hier: "time to market": Das System, das man in den Markt bringt, muss früh genug dran sein und genug können, um sich abzusetzen und Geld zu bringen. Die HW muss nur so lange halten, wie die Garantiezeit besagt. Wer im Hinblick auf eine optimale Kundenversorgung vorbaut, eine langlebige HW bereitstellt und dann preisgünstige updates liefert, sodass der Kunde lange und günstig bei wegkommt, der verdient nicht viel. Software wird heute eher dazu genutzt, den Kunden zu betrügen und zum Neukauf zu veranlassen, siehe "Tintenpatronen mit elektronischem Ablaufdatum".