Seite 11 von 12

Verfasst: Di 7. Mär 2006, 15:25
von Inder-Nett
bony hat geschrieben:...dass mir die zwar bissigen :twisted: aber auch meist fundierten und begründeten Beiträge von Inder-Nett Spaß machen
Bravado hat geschrieben:Jo - ich kann mittlerweile auch darüber lachen ...
beamter77 hat geschrieben:Inder-nett ist im innersten seines Herzens ein gaaanz braver Bube. :)
OK Kinder, wenn DAS kein Grund zur Versöhnung ist ... :oops:

Jetzt hab ich lange genug provoziert, da wird es mal wieder Zeit für einen fundierten und begründeten Beitrag...

Fakt ist: Hochwertige Röhrenverstärker klingen nicht schlecht!
Fakt ist auch: Hochwertige Röhrenverstärker sind teuer!
Fakt ist weiterhin: Die meisten teuren Röhrenverstärker sind keinesfalls hochwertig, sondern bestenfalls mit einer hohen "Wertanmutung" gefertigt und zumeist gerade gut genug, dass der Laie den Unterschied nicht mehr wahrnimmt.

Die technischen Hintergründe:
1. Röhrenverstärker haben - egal in welche Betriebsart (A, A/B, B) - prinzipbedingt einen um 20-30% schlechteren Wirkungsgrad als Transistorverstärker.
Die höheren Verluste entstehen vordergründig durch
- Heizung
- Ausgangs-Übertrager
- Höherer Flusswiderstand der Röhre im voll durchgesteuerten Zustand.

2. Röhrenverstärker haben prinzipbedingt ein Problem mit dem Frequenzgang.
Das Problem sind nicht die Röhren, sondern der Ausgangstransformator!
Bei niedriger Leistung lässt sich dieses Problem über die Gegenkopplung kompensieren (mit dem Nebeneffekt, dass der "warme" Röhrenklang dadurch auch verschwindet).
Bei höherer Leistung geht der Trafo bei niedrigen Frequenzen in die magnetische Sättigung, bei hohen Frequenzen steigen die Wirbelstromverluste überproportional an.

Wenn Octave für die 125W-Endstufe den "Frequenzbereich" von 5 Hz - 80 kHz (ohne Angabe der Toleranz, also wahrscheinlich mit -10dB) für 10W und den Klirrfaktor für 10W/1kHz angibt, dann hat das einen Grund.
Man kann davon ausgehen, dass der "Frequenzbereich" auf 40Hz - 15kHz bei 80W zurückgeht, bei einem Klirrfaktor von deutlich über 1% (im Bass noch mehr).
Die volle Leistung wird er dann wahrscheinlich gerade mal zwischen 60Hz und 10 kHz bringen können.
Im Hochtonbereich ist diese "Einschränkung" nicht weiter kritisch, da reicht 1/10 der Impulsleistung locker aus, um Musik ohne Einschränkunge wiederzugeben.
Im Bass-Bereich stellt es allerdings ein echtes Problem dar!

Bei den meisten Musikstücken wird ein solches Verstärker-Verhalten durchaus als "gefällig" empfunden, denn gerade das messtechnisch katastrophale Bass-Verhalten wirkt wie so 'ne Art Softclipping für zu dumpfen Tief-Bass.
In Verbindung mit minderwertigen Basslautsprechern könnte der Bass sogar besser klingen als bei linearer Verstärkung, weil dadurch zu große Membranhübe im Niedrigstbass-Bereich sanfter begrenzt werden, als wenn der Lautsprecher an seine mechanischen Limits kommt.

Es gibt aber eine Reihe von Musikstücken (Orgel mit sattem Bass-Anteil, oder z.B. aus dem Bereich Pop die "Cranberries": "No need to argue" oder "Sylver" "In your eyes"), wo ein sehr tiefer, reiner, lang anhaltender Bass bei hoher Lautstärke die zarten Stimmen zum "Gurgeln" bringen würde.
Für "echtes HiFi" völlig unakzeptabel!
Sowas würde einem vergleichbar leistungsfähigen Transistor-Verstärker bei gleichem Pegel nicht passieren.

Um mit einem Röhrenverstärker bis 16Hz hinunter einen einigermaßen linearen Bass bei voller Leistung zu erhalten würde man Ausgangstrafos verbauen müssen, die mind. 3* so groß sind wie der Netztrafo... dann wird's richtig teuer und unhandlich!

3. Röhrenverstärker "altern" schneller.
Röhren haben von sich aus schon eine gegrenzte Lebensdauer, bei Leistungs-Endstufen reduziert sich die Lebensdauer nochmal drastisch, wenn man die Leistung tatsächlich ausnutzt.
Hochspannungs-Elkos trocknen schneller aus als Niederspannungs-Elkos, die Hitze in der Röhrenendstufe beschleunigt diesen Vorgang noch.

4. Röhrenverstärker sind (gemessen an ihren technischen Daten) inakzeptabel teuer!!!
Das liegt einerseits daran, dass der technische Aufwand zum Erzielen einer zum Transistorverstärker vergleichbaren Leistung wesentlich höher ist. Andererseits ist der Markt für Röhrenendstufen zu klein für eine ökonomisch sinnvolle Serienproduktion, d.h. man kauft ein manufakturiell gefertigtes Unikat.
Wenn Jemand das Geld ohnehin übrig hat und eine Symbiose aus Status-Symbol, antikem Möbelstück und HiFi-Anlage sucht, dann ist er natürlich bei den Röhren gut beraten.

Wenn jemand allerdings noch ein paar vernünftige (oder unvernünftige aber lustbetonte :twisted: ) Alternativen zum Einsatz seines Geldes kennt, dann hat die Röhre einfach keinen Sinn.

Am deutlichsten wird das, wenn man mal die Octave Endstufe mit einer aktuellen, vergleichbar teuren Transistor-Endstufe vergleicht:

Code: Alles auswählen

Endstufe               RE 280 MK II                 Yamaha MX-D1
Ausgangsleistung       2 x 70 W                     2 x 500 W (2 x 1000W Impuls!)
Frequenzbereich 	    5 Hz - 80 kHz bei 10 Watt    1 Hz - 100.000 Hz, +/- 3 dB bei 500W
Klirrfaktor            < 0,3% 1 kHz/10 W an 8 Ohm   <0,002% 20Hz-10kHz/10W, <1% bei 2 * 500W
Fremdspannungsabstand  > 96 dB                      120 dB
Dämpfungsfaktor        10                           200
Abmessungen            480 x 160 x 420 mm           435 x 75 x 437
Gewicht                21 kg                        10,4 kg
Straßenpreis ca.       3500€                        3500€

Verfasst: Di 7. Mär 2006, 15:53
von beamter77
Haben wir endlich die Wahrheit aus dir herausgepresst. :mrgreen:

80 % unterschreibe ich - den Rest ignoriere ich. 8)

Die Röhre "klingt" und "sieht" einfach so schööööööön. :D

Verfasst: Di 7. Mär 2006, 16:23
von elchhome
Mich würden ja jetzt die 20% Unstimmigkeitsprobleme interessieren ... ;-)

Verfasst: Di 7. Mär 2006, 16:37
von Inder-Nett
elchhome hat geschrieben:Mich würden ja jetzt die 20% Unstimmigkeitsprobleme interessieren ... ;-)
Die 20% werden mit Schwert, Streit-Axt und Morgenstern ausdiskutiert!!! :twisted:

Verfasst: Di 7. Mär 2006, 17:59
von beamter77
Meine Lieben, bitte genau lesen:

"den Rest ignoriere ich"
wer spricht von bestreiten?

Die Ausführungen von Inder-nett sind nachvollziehbar
und dürften interessierten Röhrenfans bekannt sein.

Meinen Hirnwindungen entsprang dieser Vergleich:

Audi bietet seinen A 4 als Limousine und Cabrio an.
Technisch gesehen, sind es dem Grunde nach gleichwertige Fahrzeuge.
Das Autodach macht jedoch den Unterschied.
Auf den ersten Blick ist es vollkommen idiotisch,
ein Stoffdach zu verwenden.

Die Nachteile des Cabrios im Vergleich zur Limousine liegen auf der Hand:

+ stark verminderte Unfallsicherheit (trotz eingebauter „Überrollbügel“)
+ weit stärkere Fahrgeräusche im Innenraum wahrnehmbar (im Vergleich ab 160 km/h recht ungemütlich)
+ überaus pflegebedürftig (man denke an den ätzenden Vogelkot)
+ schnellere Alterung (vorzeitiger Austausch durch mangelnde Dichtheit realistisch)
+ Öffnungs- und Schließmechanik des Cabriodaches evtl. reparaturanfällig
+ höherer Anschaffungspreis

Man kann die Liste sicherlich noch ausbauen.

Das Verdeck hindert ihn daran, die Fahrleistung eines A 4 voll auszuschöpfen.
Er kastriert bewusst das Fahrzeug !!!

Alle diese Nachteile nimmt der Cabriofahrer in Kauf,
nur um bei schönen Tagen der Natur „ein Stück“ näher zu sein.
60 bis 100 km/h bei offenem Verdeck fahren ist für ihn das Erlebnis.

Die Gründe, warum gerade er das "braucht" sind vielschichtig, so wie Menschen eben sind.

Verfasst: Mi 8. Mär 2006, 10:08
von ergoni
Unvernunft muss es geben, sonst gäbe es keine vernünftigen Menschen. :D

Verfasst: Mi 8. Mär 2006, 15:41
von Inder-Nett
beamter77 hat geschrieben:Alle diese Nachteile nimmt der Cabriofahrer in Kauf,
nur um bei schönen Tagen der Natur „ein Stück“ näher zu sein.
60 bis 100 km/h bei offenem Verdeck fahren ist für ihn das Erlebnis.
Der Vergleich hinkt, weil die Röhrenendstufe den Hörer kein bisschen näher zur "Natur" bringt.

Passender wäre der Vergleich, wenn Audi seinen Kunden für den dreifachen Preis eine Limousine mit einem Dach im "Cabrio Look & Feel" anbieten würde, welches zwar alle o.g. Nachteile hat, sich aber nicht öffnen lässt, und die Fahrer dieser Fahrzeuge sich selbst und uns glauben machen wöllten, daß man deutlich spürt, bei schönen Tagen der Natur „ein Stück“ näher zu sein und Jeden, der den Sinn dieser Maßnahme anzweifelt in aller Öffentlichkeit als "ignoranten Abstreiter" bezeichnen würden.

Verfasst: Mi 8. Mär 2006, 17:24
von Caisa
Der Vergleich hinkt, weil die Röhrenendstufe den Hörer kein bisschen näher zur "Natur" bringt.
Na ja, durch die technischen "Unsauberheiten" die Röhrenverstärker nun einmal haben klingt es für viele Hörer aber eher wie live und gerade durch die harmonischen Verzerrungen weniger künstlich gepusht im Hochton/Präsentsbereich wie bei vielen Transistoren.

Was einem besser gefällt ist geschmacksache, aber ich kenne eben eine Reihe von Leuten (mich eingeschlossen *g*) die gerade bei Stimmen das Gefühl haben es klingt mit einer Röhre echter.

Lasst einfach eure Ohren entscheiden. Wäre nicht das erste mal, dass auch etwas technisch schlechteres für unsere Ohren besser klingt.

Mit Hifi also höchster Wiedergabetreue bzw. Verstärkung von dem was auf der CD ist hat es natürlich nix zu tun. Allerdings ist die Frage ob ein genussvoller Musikhörer das möchte?!

Gruß Caisa

Verfasst: Mi 8. Mär 2006, 17:32
von beamter77
Hallo Inder-nett,

ich fahre zweigleisig mit Röhre und Transistor.
Beides hat etwas.

Die Transistorendstufen habe ich selbst zusammengeschraubt.
Sie kommen von THEL.

Ein Monoblock sieht in etwa so aus:
http://www.thel-audioworld.de/module/acuso/accus5.jpg.
Richtig dicke Brummer, die "alles" unter Kontrolle haben.
Zusätzlich betreibe ich zwei wieselflinke SAC 50 Igel.

+ an zwei JBL Ti 5000
+ an zwei (nicht ganz) mannshohen wirkungsgradstarken Selbstbauboxen
mit der für Röhrenverstärker so wichtigen Impedanzkorrektur vor der Frequenzweiche
+ an zwei Nuline 30 exclusiv

Datenlieferant ist ein „Swoboda“ Sony CD-Player.

Die Transen mögen "richtiger" spielen ....
Warum dann Röhre ?

Zeitreise

Rückblende – 27.07.1969
Uhrzeit – 1:30 h
Tatort – Tanzschuppen
Topgruppe „Vampires“ spielen zum „Tanz“ auf - der Saal kocht über …

Wie kommt man dahin zurück ?

+ Zounds-CD mit Musik dieser Zeit einlegen
+ Augen zu
+ Musik ab

Fußwippen und Gänsehaut geht hier nur mit Rööööhre
Die Transen spielen „richtiger“ aber leider auch blutleerer (zumindest meine).

Weniger Fußwippen, weniger Gänsehaut.

... wenn du verstehst, was ich meine.

Verfasst: Mi 8. Mär 2006, 17:35
von teite
Hallo,
Caisa hat geschrieben: Na ja, durch die technischen "Unsauberheiten" die Röhrenverstärker nun einmal haben klingt es für viele Hörer aber eher wie live und gerade durch die harmonischen Verzerrungen weniger künstlich gepusht im Hochton/Präsentsbereich wie bei vielen Transistoren.

Was einem besser gefällt ist geschmacksache, aber ich kenne eben eine Reihe von Leuten (mich eingeschlossen *g*) die gerade bei Stimmen das Gefühl haben es klingt mit einer Röhre echter.
Warum baut man dann keine Effektgeräte mit Röhren die genau diesen Klang produzieren? Wieso nimmt man die grossen Nachteile der Röhren im Endverstärker in Kauf?
Lasst einfach eure Ohren entscheiden. Wäre nicht das erste mal, dass auch etwas technisch schlechteres für unsere Ohren besser klingt.

Mit Hifi also höchster Wiedergabetreue bzw. Verstärkung von dem was auf der CD ist hat es natürlich nix zu tun. Allerdings ist die Frage ob ein genussvoller Musikhörer das möchte?!
Nun von mir aus kann jeder mit ner Bratpfanne hören, das ist mir wirklich latte. Aber wenn das dann in höchsten Tönen gelobt und als Referenz betitelt wird, bekomme ich so meine Probleme. ;)

Wenn dann noch hinzukommt, das sich Studios darauf einstellen und für Bratpfannen angepasste Produktionen herstellen und dann kuckt derjenige mit einer hochwertigen und neutralen Anlage inne Röhre. ;)

cu,
Stefan