Trollen ist witzig, Pöbeln eine Kunst: Über solche Thesen wird an diesem Wochenende auf der Trollcon diskutiert. Andy Prahl haben 15 Jahre als Community Manager ganz anderes gelehrt.
Nichts ist beruhigender, als wenn die eigene Plage einen anderen noch schlimmer heimsucht. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass Vorträge über Trolle auf Netzkonferenzen immer überlaufen sind, dass sich Blogeinträge damit auseinandersetzen und Trolle es sogar in die Tagespresse geschafft haben. Jeder muss sich mit Trollen und ihrem immer gleichen Worthülsen-Trommelfeuer herumschlagen, seit er seine ersten Schritte durch Foren oder soziale Netzwerke machte.
In letzter Zeit werden immer mehr Stimmen laut, die Trollen eine neue Bedeutung zuschreiben. Ihre Form der Kommunikation sei der einzige Weg, Diskussionen in richtige Richtungen zu lenken. Sie böten kontroverse Blickwinkel und seien als Einzige in der Lage, anderen clever den Spiegel vorzuhalten. Drollig sollen Trolle sein. Wer sie nicht lustig findet, dem fehlt demnach leider die Fähigkeit, Ironie und Sarkasmus zu erkennen. Einige sehen in Trollerei sogar eine Kunstform, die Trolle als wissenschaftlich zu erforschende Spezies und als Meister ihres Fachs, die das Internet wirklich verstanden haben. Nur, wer in der Lage ist, die Botschaft hinter ihren Postings zu erfassen, soll angekommen sein in der digitalen Gesellschaft - kein DAU und Internetausdrucker.
Folgerichtig gibt es jetzt auch die erste eigene Konferenz der Trolle. An zwei Tagen treffen sie sich in Mannheim auf der Trollcon, um die obigen Thesen und unter anderem folgende Fragen zu erörtern: "Dürfen Trolle alles? Wo endet Trollerei und fängt destruktives Verhalten an? Gibt es so etwas wie eine Trollethik?"
Der Troll als Spaßkanone, die Trollerei als modisches Phänomen der Netzwelt? Nach 15 Jahren Erfahrung als Community Manager muss ich widersprechen: Trolle sind weder neu noch lustig noch niedlich - und sie bringen zwar gekonnt Menschen auf die Palme, aber von Kunst kann nicht die Rede sein. Wir haben es hier mit mehreren grundlegenden Missverständnissen zu tun.
"Trolle sind ein Phänomen des Internets"
Je größer die Internetgemeinde wird, umso mehr steigt naturgemäß auch die Zahl der Kommentatoren, mit denen eine konstruktive Diskussion unmöglich ist, die einfach pöbeln: "Typisch Hater. Keine Argumente, aber gleich mal so einen Mist hier absondern!" Allerdings ist das Phänomen des Trollens sicherlich keine Erfindung des Internets. In jedem von uns schlummert ein Troll. Wir kennen das Bedürfnis, in einer Auseinandersetzung recht zu behalten und dem Gegenüber mal so richtig die Meinung zu geigen und sich an seiner Machtlosigkeit zu freuen. Nicht vernünftig zu sein, sondern penetrant. Trollen ist irgendwie menschlich.
Aber wir sind zu Höflichkeit und Respekt erzogen worden und haben gelernt, dass beides auch nützlich ist, wenn wir Wert auf unsere Ehe, Freundschaft oder unseren Arbeitsplatz legen. Wie würde es wohl ausgehen, wenn wir unserem Chef nahelegten, dass er "doch mal die Fresse halten" solle, wenn er "keine Ahnung" habe, um ihm anschließend zu erklären, das sei "keine Beleidigung", sondern "einfach nur die Wahrheit"? Den Wunsch hat sicherlich schon mancher verspürt, nur ahnt jeder, dass er diese Argumentation anschließend einem Mitarbeiter der Arbeitsagentur vortragen müsste, was wiederum nicht zu einem neuen Job führen würde. Wie würde ein iPhone-Nutzer auf der Straße reagieren, wenn man ihn als "religiösen, hirnlosen Jünger, der überteuerten Dreck kauft", bezeichnete und auf seine wütende Entgegnung noch hinterherschöbe: "Hast du mir gerade wirklich mit Gewalt gedroht? *lachschlapp*, was für ein Würstchen bist du denn?"
Online, wo wir uns nicht persönlich gegenüberstehen, ist der Spielraum für Reaktionen aber viel geringer. Wir können Trollen die Genugtuung geben, auf sie zu reagieren. Oder sie bestenfalls ignorieren - und ihnen damit die Genugtuung geben, dass ihre Behauptungen unwidersprochen stehenbleiben. Und deshalb trollt es sich im Internet eben unbeschwerter als im echten Leben.
"Trolle sind konstruktiv, weil sie andere Sichtweisen in Diskussionen bringen"
Wer das behauptet, hat kontroverse Meinung oder ironische Kommentare mit Trollpostings verwechselt. Trolle zeichnen sich genau dadurch aus, dass sie in Diskussionen destruktiv wirken. Sie provozieren. Und auf Provokationen reagieren Menschen immer gleich - ob wir sie ins Gesicht gesagt bekommen oder im Netz lesen. Gibt mir jemand einen wichtigen Hinweis, nennt mich aber gleichzeitig ein dummes Arschloch, fällt eine konstruktive Diskussion schwer.
Auf Einsicht ist bei Trollen dabei kaum zu hoffen, denn sie halten sich selbst nicht für unverschämt, sondern für offen: "Muhahaha dass ich kein Troll bin weiß ich genauso, wie ich weiß, dass du ein hirnverbrannter Kacknoob bist." Ist doch einfach nur die Wahrheit. Oder?
"Trolle sind drollig und ihre Postings sind lustig"
Auch ich habe schon über Trollposts gelacht. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle zuerst einen grundlegenden Irrtum ausräumen. Im Netz wird über Trolle oft behauptet, bereits in der Mythologie seien sie lustige kleine Kerle, die cleveren Schabernack treiben und damit die Menschen oft zur Weißglut bringen. Falsch, liebe Blogger: Das sind Kobolde. Trolle werden in den meisten Fällen als grobschlächtig und dumm beschrieben.
Sind unsere Trolle im Netz aber lustig? Hier eine typische Diskussion zwischen Trollen zu einem Artikel über Apple, ähm... Samsung? Oder ging es doch um Android?
Troll 1: "Schön zu sehen, dass deine Dressur noch funktioniert. Wieder einen Keks? Oder lieber ne Banane? *grins*"
Troll 2: "Eine Banane - aber die hole ich bei Dir persönlich ab. Aber das traust Du einarmiger Karusellbremser Dir ja nicht ... denn einem so richtig real gegenüberstehen, das könnte schon für ein paar Probleme mit der Kauleiste sorgen."
Troll 1: "Apropos Dressur: Hast Du Dein Faible für SadoMaso entdeckt oder was? Oder warum kommst aus Deinem Schwabbelhirn nur so eine Gülle? Und übrigens: Wenn hier einer sofort auf Schlagworte wie Android, Windows oder Microsoft anspringt, bist DU das doch wohl. Gut dressiert, finde ich."
Spätestens an diesem Punkt muss ich als Community Manager eingreifen. Denn unsere Regel lautet klar: Beleidigungen sind verboten. Flamewars, persönliche Streitgespräche und Unfug werden auf den Bolzplatz oder die Trollwiese verschoben, klare Beleidigungen und Diskriminierungen gelöscht. Nur so ist es anderen möglich, unter dem Artikel tatsächlich über das Thema zu diskutieren. Jeder verschobene oder gelöschte Troll erhält eine Begründung in einer privaten Nachricht (PN) :"Auch wenn Sie sich ärgern, ist das kein Grund zu beleidigen. Der Beitrag wurde gelöscht." Die Antwort kommt direkt: "Wo verdammt nochmal habe ich jemanden persönlich beleidigt? Tickt ihr eigentlich noch richtig?" Einsicht? Fehlanzeige.
Versuche ich langmütig, dennoch mit dem Troll zu reden, zeigt er mit dem Finger sofort in Richtung der anderen Diskussionsteilnehmer. Die sind nämlich viel schlimmer. Trolle sind nicht schuld daran, dass sie beleidigen, sondern die anderen. Sogar wir locken Trolle in die Falle: Erst werden Meldungen extra so geschrieben, dass sie sich darüber ärgern müssen, dann werden sie dafür abgemahnt. "Ich frage mich ob ich für die vorherrschende Spaltung innerhalb der Golem-Community verantwortlich zu machen bin oder ob man hier nicht bereits schon in der Redaktion und beim Abfassen der Texte einwirken sollte. Reißerische Überschriften sind nicht gerade dienlich."
Es ist manchmal erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit Trolle um einen Platz in unserem Forum für Beiträge kämpfen wie: "Geh sterben, du dämlicher Fanboy!". Dafür werden alle Register gezogen. Greife ich als Community Manager in eine Diskussion ein, bin ich dumm ("Wenn man den Hauptschulabschluss nicht geschafft hat, muss man natürlich im Keller den Löschnazi spielen"), vom Konzern der gegnerischen Fanbase gekauft ("Was für ein Telefon haben Sie denn, Herr Prahl - wenn ich fragen darf, und wer hat es bezahlt?! Aber das ist ja jetzt klar"), und es herrscht bei uns eine "Zensur wie in China". Wenn gar nichts mehr geht, bin ich "Homofürst Hitler" persönlich.
Mit jedem Mittel wird versucht, die eigene Meinung durchzudrücken. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, ob sich andere beleidigt oder diskriminiert fühlen. Was sich hinter dem lustigen Wort "Trollerei" verbirgt, ist ein Machtspiel, und Machtspiele sind grundsätzlich kein Spaß.
"Trollen ist eine Kunstform"
Zwei Dinge machen Kunst aus: die Schaffung eines menschlichen Kulturprodukts und Kreativität. Wie bereits beschrieben, ist das Bedürfnis zu Trollen sicherlich ein menschliches. Kulturell bringt uns das Erzwingen von Aufmerksamkeit allerdings keinen Schritt weiter. Die wichtigsten Trollwerkzeuge sind die Wiederholung und die Beleidigung. Darin kann man so einige Eigenschaften finden. Kreativität ist allerdings nicht dabei.
"Trolle sind ein wichtiges Phänomen des Internets"
Trolle im Netz sind keine Erfindung der letzten Monate. Der entsprechende Wikipedia-Artikel stammt aus dem Jahr 2003 und kam damit ziemlich spät. Denn bereits seit Mailboxzeiten, Usenet und BTX suchen Kommentatoren in der Trollerei ein Ventil. Die typischen Merkmale des Trolls haben sich seitdem nicht geändert. Der neue Trollhype kommt also verspätet: Phänomen war gestern, Gewöhnung ist heute.
Trolle gehören von Anfang an zum Internet, und das wird auch so bleiben, solange das Netz eine gewisse Anonymität bietet - also hoffentlich noch lange. Grund genug dafür, wissenschaftliche Abhandlungen über sie zu schreiben, Konferenzen über sie abzuhalten oder sie zu einer neuen Modebewegung heraufzubeschwören, ist das aber nicht. Trolle sind da, Trolle nerven, damit müssen wir uns abfinden. Community Manager müssen gelassen bleiben und Regeln aufstellen - und die auch durchsetzen. In den Diskussionen bleibt uns nur, Trollen nicht möglichst viel Aufmerksamkeit zu schenken, sondern gar keine - die einzige einigermaßen wirksame "Waffe".
Quelle:
golem.de
Weiterführender Link:
Trollcon/2012