Genussmensch hat geschrieben:
Meine Ausgangsthese basiert auf meiner Erfahrung, dass wenn ich - unverblindet - zwischen im Pegel abgeglichenen Verstärkern - hin- und herschalte, zumeist anfangs deutlichere Unterschiede wahrnehme, die dann bei weiterem raschen Umschalten zunehmend verschwinden, bis ich mich am Ende frage, ob die anfangs gehörten Unterschiede womöglich nur auf Einbildung beruhten. Dieser Effekt stellt sich bei mir sogar ein, wenn ich verschiedene Lautsprecher durch rasches Umschalten vergleiche. Der Effekt lässt sich erheblich beschleunigen, wenn ich statt zweier Verstärker/Lautsprecher mehrere Geräte miteinander vergleiche. Es tritt für mich dann unweigerlich eine Wahrnehmungsübersättigung ein, so wie wenn ich viele Düfte hintereinander rieche. Nochmal: Ich rede hier vom unverblindeten Vergleich. Und schon bei diesem unverblindeten Vergleich sind beim raschen Umschalten am Ende feine Unterschiede nicht mehr unterscheidbar, sondern werden - so meine Interpretation - vom Gehirn ausgeblendet.
Du hast also zwei Situationen: A) Unterschiede werden wahrgenommen, B) Unterschiede werden nicht wahrgenommen.
Du gehtst davon aus, dass 1. A der Realität entspricht und dass 2. diese Realität eine akustische ist. Warum?
Meiner Meinung nach dient deine Theorie der Begründung der Grundannahme, dass A eine akustische wahrnehmebare Realität ist; gleichzeitig baut deine Theorie auf dieser Grundannahme auf - ein typischer Zirkelschluß. Von der Grundannahme unabhängige Argumente für die Theorie fehlen.
Genussmensch hat geschrieben:
Um diese Unterschiede abzuspeichern, muss ich sie für mich aus der spontanen, unreflektierten Wahrnehmung bewusst herausarbeiten, konkretisieren, vielleicht sogar begrifflich umschreiben (oder mithilfe von Assoziationen).
Das funktioniert! Und zwar genau unabhängig davon, ob es die Unterschiede tatsächlich gibt oder nicht. Genau da liegt das Problem.
Was du hier tust, ist eine absolut sichere Methode, eine Wahrnehmung von der Realität abzukoppeln. Selbst wenn es anfangs tatsächlich eine reale Basis für einen Unterschied gab, je mehr du ihn "bearbeitest" desto weniger hat das Ergebnis mit der Realität zu tun.
Das ist unausweichlich und hat damit zu tun, wie unser Gehirn funktioniert; siehe zum Beispiel hier:
http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at ... hung.shtml
Im Sinne des Hörgenusses ist nichts dagegen einzuwenden. Aber es handelt sich um das krasse Gegenteil einer Methodik, die zu halbwegs sinnvollen Aussagen über Realität, Geräte etc. führen kann.
Genussmensch hat geschrieben:
Ich würde dann bestimmte Aspekte der Musik miteinander vergleichen und versuchen, mir die jeweiligen Unterschiede der Vergleichskandidaten bewusst zu erhören, also zu erarbeiten. Das geht nicht durch schnelles Umschalten, sondern nur durch gezieltes, konzentriertes Hören über längere Zeiträume. Dann allmählich findet ein Lernprozess statt: Das Gehirn - so meine Deutung - hat bestimmte Klangmuster erlernt und kann diese Muster gezielt abrufen. In der Wahrnehmung bewirkt das eine Verstärkung: Die anfangs kaum unterscheidbaren Muster schärfen sich und sind mit der Zeit immer klarer und leichter erkennbar. Ich habe sie schließlich erlernt. Sie sind dann auch stabiler und erheblich weniger anfällig gegen das schnelle Vergleichen.
Genau dieser "Lernprozess", der "weniger anfällig gegen das schnelle Vergleichen" ist, ist ein Prozess der immer tiefer in die Subjektivität führt. Er führt hin zu persönlichem Hörerleben, aber weg von (halbwegs) objektiver Beschreibung akustischer Realität. Zu diesem Prozess gehören übrigens auch Berichte im Forum - je öfter und detailierter du im Forum über Tiefenstaffelung erzählst, desto abgekoppelter von der objektiven akustischen Situation wird das.
Genussmensch hat geschrieben:
Jetzt erst kommt für mich der Blindtest ins Spiel. Erst jetzt, mit stabilen, unverblindet reproduzierbaren Klangmustern ergibt die verblindete Überprüfung einen Sinn. Diese Überprüfung ist natürlich nochmals eine erheblich gesteigerte Anforderung für mein Gehirn. Konnte es unverblindet das gespeicherte Muster vor Beginn des eigentlichen Hörens gezielt abrufen, weil klar war, welches Gerät gehört wird, fehlt diese gezielte Möglichkeit im verblindeten Test. Das heißt, das Muster als solches muss jetzt im Verlaufe des Hörens erkannt werden, was aber, bei entsprechend erfolgreichem vorherigen Lernprozess, leistbar sein sollte.
Nochmal: ein Blindtest dient nicht persönlichem sportlichen Ehrgeiz ("nochmals eine erheblich gesteigerte Anforderung für mein Gehirn"), sondern der Objektivierung von Aussagen über Wahrnehmung.
Im Kontext eines Blindtests soll das Abrufen eines "gespeicherten Musters" eben um jeden Preis verhindert werden! Man will wissen, was
gehört wird, nicht was assoziert wird. Gerade weil das Abrufen gespeicherter Muster nahezu unvermeidbar ist, versucht man bei Blindtests mit erheblichem Aufwand, dies wenigstens so gut wie möglich zu reduzieren.