Links: US-DVD von Severin / Rechts: "Inoffizielle" DVD von "MEG"
Perversion Story (Italien 1969, Originaltitel: Una sull'altra, deutscher Titel: Nackt über Leichen)
Der Arzt und das Biest
Für den Mediziner Dr. George Dumurrier (Jean Sorel) läuft es nicht gut. Seine Ehe mit der kränklichen Susan (Marisa Mell) ist ein Scherbenhaufen, seine Geliebte Jane (Elsa Martinelli) will die Beziehung zu George beenden. Zu allem Überfluss steckt seine Klinik in finanziellen Schwiegkeiten, und die Presse hat sich auf großspurige Ankündigungen des Arztes eingeschossen. Immerhin kann George die Beziehung zu seiner Geliebten retten. Doch nun beginnt der Ärger erst, denn während sich George und Jane ein paar schöne Stunden gönnen, verstirbt Susan im Haus der Eheleute. Wenig später erlebt der Arzt eine grosse Überraschung, seine Frau hat ihm eine millionenschwere Lebensversicherung hinterlassen. Eines Tages erhält George einen rätselhaften Anruf, der ihn in einen anrüchigen Tanzschuppen führt. Prompt ist die nächste Überraschung fällig, auf der Bühne räkelt sich eine laszive Schönheit, die seiner verstorbenen Ehefrau zum verwechseln ähnlich sieht. Monica Weston (Marisa Mell) ist Susan zwar wie aus dem Gesicht geschnitten, doch ansonsten haben die Frauen keinerlei Gemeinsamkeiten. Neugierig nimmt George erneut Kontakt mit Monica auf, ein anfänglicher Verdacht erweist sich jedoch als unhaltbar, die käufliche Stripperin kann auf keinen Fall Susan sein. Noch ahnt Dr. Dumurrier nichts davon, dass sich hinter den Kulissen eine tödliche Schlinge um seinen Hals legt...
Schon häufiger habe ich (wie auch einige andere Filmfreunde) darauf hingewiesen, dass man Lucio Fulci keinesfalls auf seine Horrorfilme reduzieren sollte, mit denen in den späten siebziger Jahren seine kommerziell erfolgreichste Phase begann. Freilich sind Werke wie "Woodoo - Die Schreckensinsel der Zombies" (Zombi 2, 1979) und "Die Geisterstadt der Zombies" (E tu vivrai nel terrore - L'aldilà, 1981) unverzichtbare und wundervolle Italo-Klassiker, doch es wäre eine unentschuldbare Frevelei, das vorherige Schaffen des Regisseurs zu unterschlagen. Die aus leichten Komödien bestehende Frühphase, mag in der Tat nicht weiter von Belang sein. Doch bereits der Western "Django - Sein Gesangbuch war der Colt" (Tempo di massacro, 1966), steht als grosses und unübersehbares Ausrufezeichen in der Filmographie des Römers. In den siebziger Jahren inszenierte Fulci einige sehr gute Gialli, hier sei als Beispiel der herrliche "A Lizard in a Woman's Skin" (Una lucertola con la pelle di donna, 1971) angeführt. "Una sull'altra" aka "Perversion Story" ist der erste ernsthafte Thriller des Meisters, empfindliche Gemüter sollten sich nicht von dem sehr reisserischen deutschen Titel "Nackt über Leichen" abschrecken lassen. Zieht man eine Schublade für diesen Film auf, so wird er häufig in der Abteilung Giallo platziert. So ganz wohl ist mir bei dieser Zuordnung nicht, IMHO streift "Una sull'altra" dieses Genre nur. Wozu überhaupt diese ständigen Versuche alles in Kategorien pressen? Ok, für Einsteiger und "Suchende" sollten gewisse Anhaltspunkte greifbar sein, ich gebe mich geschlagen. "Nackt über Leichen" vermengt den Giallo mit einer üppigen Dosis Film noir, Fulci schmeckt sein Gericht mit Erotik und einer packenden Atmosphäre ab.
Die künstlich-schrille Schönheit der bunten (späten) Sechziger, wurde von Kameramann Alejandro Ulloa stilsicher eingefangen. Für zusätzliche Freude sorgen Momente, in denen wunderschöne Einstellungen mit Licht, Schatten und Gesichtern spielen. Selbst der Einsatz von Split Screen wird nicht zur sinnentleerten Technikdemonstration, sondern landet auf den Punkt genau platziert. Obwohl die Handlung in San Francisco angesiedelt ist, man der prächtigen Kulisse Raum zur Entfaltung gewährt (schon die Bilder während des Vorspanns sind ein Genuss), verliert sich der Film nie in "Hollywood-Untiefen", sondern bleibt zu jeder Zeit durch und durch ein Kind des italienischen Genrekinos. Dafür sorgt nicht nur Fulcis klar erkennbare Handschrift, sondern auch der schöne Score von Riz Ortolani. Aber nicht nur hinter den Kulissen wurde grossartiges geleistet, das vor der Kamera agierende Ensemble erweist sich von Anfang an als Glücksgriff.
Der aus Frankreich stammende Jean Sorel überzeugte mich im bitteren und schrecklich-schönen "Malastrana" (1971) von Aldo Lado, unter Fulcis Anleitung spielte er auch im bereits erwähnten "A Lizard in a Woman's Skin" gekonnt auf. Sorel gelingt es absolut glaubhaft, den schleichenden Zerfall seiner Figur nachzuzeichnen. "Eigentlich" sollte er als Leiter und Inhaber einer Klinik vom Erfolg verwöhnt sein, doch der Pleitegeier kreist bereits gefährlich nah über seinem Haupt, von der desaströsen Ehe ganz zu schweigen. Ist George Dumurrier bereits in der frühen Phase nicht der glücklichste Mensch auf Erden, soll er später in tiefste Abgründe blicken, die ihm vermeintlich nahe und vertrauenswürdige Personen offenbaren. Das Drehbuch ist jedoch (glücklicherweise) nicht auf Mitleid und platte Charaktere aus, denn Dumurrier ist keineswegs als tadelloser Zeitgenosse angelegt, dem bösartige Gestalten ans Leder möchten. Seine unseriösen Verlautbarungen über neue Operationsmethoden, der Betrug an der kranken Ehefrau, Jean Sorel bringt die "sanfte Ambivalenz" seines Charakters erstaunlich gut rüber. Marisa Mell toppt die ansprechende Vorstellung Sorels sogar, die kantige Dame aus Österreich zieht nahezu alle Register. Mell bietet uns einen grosszügigen Einblick in ihr Können, zunächst als kranke, betrogene und verbitterte Ehefrau, später als ruchlose Tänzerin, die -selbstverständlich nur gegen gute Bezahlung- auch zu eindringlichen Kontakten bereit ist. Wirklich "schön" fand ich Marisa Mell noch nie, doch ihre eigenwillige Erscheinung, lässt sie äusserst interessant und auf ganz besondere Weise faszinierend wirken. Die sehr attraktive Elsa Martinelli wird nicht als simpler Gegenpol zu Marisa Mell eingesetzt. Nie kann man sich ganz sicher sein, ob sie zu den "Guten" gehört, was den Reiz deutlich erhöht, die zwischen den Charakteren beständig bestehende Spannung zusätzlich verstärkt. Die Nebendarsteller möchte ich nicht unerwähnt lassen. John Ireland sehen wir als knarzigen Ermittler, der seiner Arbeit pflichtbewusster nachgeht, als man es zunächst vermuten mag. Alberto de Mendoza spielt den Bruder des Dr. Dumurrier, George Rigaud den Rechtsbeistand der Hauptfigur. Riccardo Cucciolla kommt ein kleiner aber wichtiger Part zu, er hatte sich bereits durch "Cani arrabbiati" (Wild Dogs, 1974) von Mario Bava in mein Herz gespielt. Die gemeisamen Szenen von Marisa Mell und Riccardo Cucciolla sind großartig, stehend stellvertretend -quasi als Konzentrat- für die Eigenschaften der Charaktere in diesem Film.
An den Leistungen der Schauspieler gibt es nichts zu bemängeln, jeder Mitwirkende verdient sich ein dickes Lob. Besonders prickelnd ist die "heiss-kalte" Anlage der zentralen Charaktere, die zwischen Egoismus, zur Schau gestellter Gleichgültigkeit und wildem Verlangen pendeln. Die knisternde Erotik mutet nicht aufgesetzt an, sie ist wohldosiert und kommt in Form von Marisa Mell und Elsa Martinelli sehr delikat daher. "Una sull'altra" ist ein faszinierder, packender und stilvoller Thriller, der keinerlei nenneswerte Kritikpunkte aufweist. Ganz klar ein Kind seiner Zeit, gerade aus diesem Grund schön und bewundernswert!
Bisher muss man leider auf eine offizielle DVD-Auswertung für den deutschen Markt verzichten. "MEG" hat sich dreist bei der amerikanischen DVD bedient. Die Scheibe von Severin ist eine klare Empfehlung wert, der Film liegt in ansprechender Qualität vor. Neben der englischen Synchronisation findet man den italienischen Originalton auf der DVD, der sich durch englische Untertitel ergänzen lässt. Von "Una sull'altra" existieren unterschiedliche Schnittfassungen, mit der mir vorliegenden bin ich sehr zufrieden. Als besonderes Sahnehäubchen liegt der Veröffentlichung eine CD bei, welche den Score von Riz Ortolani enthält. Zusätzlich noch ein heisser Einkaufstipp: Unter dem Titel "Fulci Frenzy" ist ein Bundle erschienen, das neben "Perversion Story" einen weiteren Thriller des Meisters enthält: "The Psychic" (Sette Note in Nero, 1977). Greift man gleich zu diesem Set, kommt man günstiger als beim Einzelkauf der DVDs weg (Es wurde nichts "abgespeckt", die beiden Verpackungen werden lediglich durch eine Banderole zusammengehalten).
"Una sull'altra" aka "Perversion Story" aka "Nackt über Leichen" ist ein sehr guter Thriller von Lucio Fulci, einem Regisseur der leider noch immer zu oft sträflich unterschätzt wird! Für jeden Freund guter Kriminalfilme eine klare Pflichtübung!
Sehr gut = 8/10 (Da geht noch mehr, ich spüre es!)
Lieblingszitat:
Aus der deutschen Fassung:
"Ist das der Gymnastiksaal deiner Klinik? Oder hast du dich etwa verlaufen, George?"
Aus den englischen Untertiteln der italienischen Fassung:
"This is not hate. This is madness!"