Kleine Hartbox von Eyecatcher, Cover A
Blutiger Schweiss (Italien 1976, Originaltitel: Poliziotti violenti)
Der unbeugsame Eckschädel
Major Altieri (Henry Silva) stellt gern unbequeme Fragen, will illegale Machenschaften innerhalb des Militärapparates aufdecken und anprangern. Seinen Vorgesetzten passt diese Gangart nicht in den Kram, daher wird der lästige Offizier von Rom in Richtung Mailand abgeschoben. Immerhin lernt er während einer Zugfahrt die attraktive Anna (Silvia Dionisio) kennen, auf dem beruflichen Abstellgleis möchte er dennoch nicht versauern. Als Schurken vor seinen Augen einen kleinen Jungen entführen wollen, greift Altieri beherzt ein, rettet das Kind aus den Fängen der brutalen Verbrecher. Freilich lässt sich die lokale Unterwelt eine solche Frechheit nicht bieten. Altieri kassiert wenig später eine heftige Abreibung, die ihm eine lädierte Visage samt Krankenhausaufenthalt einbringt. Während man ihm die Kauleiste mit Anlauf verschönerte, bemerkte der geschundene Major eine beunruhigende Ungeuerheuerlichkeit. Die Gangster waren mit neuen Automatikwaffen ausgestattet, auf die bisher offiziell lediglich die Armee zu Testzwecken Zugriff hatte. Kommissar Tosi (Antonio Sabato) zeigt sich als zuständiger Ermittler zunächst wenig erfreut über Major Altieris Eifer, doch nach und nach lernen sich die Streiter für Recht und Ordnung schätzen, ziehen tatkräftig an einem Strang...
Denkt der Fan an die kernigen italienischen Polizeifilme der siebziger Jahre, kommen ihm vermutlich sofort klangvolle Namen wie Umberto Lenzi und Fernando Di Leo in den Sinn, denn diese Regisseure fügten dem Genre einige seiner grössten Klassiker hinzu. Michele Massimo Tarantini mag nicht zur ersten Garde der Poliziesco-Macher zählen, ein Streifen wie "Blutiger Schweiss"
-der früher auch unter den besser gewählten Titel "Die Ratten von Milano" bekannt war- ist für jeden Freund dieser Filmgattung gleichwohl unverzichtbar.
Neue Aspekte kann der Flick nicht unters Volk bringen. Egal ob Drebuch, Inszenierung oder Darsteller, Tarantini und seine Mannschaft bedienen sich bekannter und bewährter Zutaten. Oft mutet "Blutiger Schweiss" wie "Lenzi-light" an, ohne dabei die Qualität des Meisters zu erreichen. Es wird geballert und geprügelt, geraubt und geschändet, selbstredend wird nicht auf geschrottete Autos und rasende Motorräder verzichtet. Hin und wieder geht es blutig zur Sache, der gewaltsame Tod unbeteiligter und harmloser Passanten untermauert die klare Ansage: In der Stadt ist das Pack unterwegs, brave Bürger müssen ständig und überall um ihr kleines Leben fürchten! Angenehmerweise tritt die Sause nicht ständig mit voller Wucht auf die Tube, immer wieder nimmt sich Tarantini Zeit für ruhige Einstellungen, stellt die
(durchaus vorhandene) Schönheit der Stadt kurzzeitig in den Vordergrund. So lässt er seinen Helden Major Altieri durch ein stimmungsvoll beleuchtes Altstadtambiente schreiten, bricht den kleinen Anflug von Großstadtromantik aber sofort auf, kehrt ihn in die räudig-überzeichnete Polizieso-Realität um. Ihr ahnt es bereits, plötzlich taucht eine Horde fieser Fratzen auf, vermöbelt den unerwünschten Störenfried nach allen Regeln der Kunst. Klar, von solchen Bestrafungsaktionen lässt sich ein Recke wie Major Altieri nicht unterkriegen, mit zunehmendem Gegenwind schwillt der Kamm des Militärschädels heftiger und heftiger an.
Damit sind wir bereits beim üblichen Blick auf die Riege der Schauspieler angekommen. Henry Silva gehört ohne Zweifel zu den ganz grossen Namen des Genres. Sein markantes Gesicht prägt sich sofort nachhaltig ein, sein minimalistisches und effektives Spiel hat verständlicherweise noch immer viele Freunde, auch ich bin ein bekennender Verehrer des ruppigen Eckschädels. Egal ob sich Silva als Bulle um einen durchgeknallten Schwerverbrecher kümmern muss
(Der Berserker, 1974), oder ob er selbst als Drecksack auf den Putz
(und die bemitleidenswerte Frau Bouchet) haut
(Die Rache des Paten, 1974), Henry Silva bleibt immer in Erinnerung, kann den Filmen seinen Stempel aufdrücken, zumindest eine eindeutige Duftmarke hinterlassen. Später setzte er ultraharten Superduperkampfbartklopskloppern wie Chuck Norris
(Cusack - Der Schweigsame, 1985) und Steven Seagal
(Nico, 1988) zu, fegte zuvor mit dem stählernen Besen durch die zerstörte Bronx
(The Riffs II - Flucht aus der Bronx, 1983). Vor lauter Begeisterung möchte ich weitere Glanztaten des Herrn Silva aufzählen, doch das würde den Sinn dieses Beitrages sprengen
(Lieber Chuck, lieber Steven. Nehmt mir die freundliche Umschreibung nicht übel, ich liebe euch, das wisst ihr doch!). Silva agiert in "Blutiger Schweiss" üblich, selten huscht fast ein kleines Lächeln über sein Gesicht, zeigt sich ein Anflug von Milde. Antonio Sabato hat als Co-Held keinen leichten Stand gegen die Präsenz Silvas, macht seinen Job dennoch gut, bleibt gleichzeitig aber weit von der Explosivität eines Maurizio Merli entfernt
(was sich nicht als schädlich erweist, ich möchte lediglich keine "falsche" Erwartungshaltung erzeugen). Silvia Dionisio durchlebte
"Horror-Sex im Nachtexpress" (1979), erlebte
"Eiskalte Typen auf heißen Öfen" (1975). Als Freundin des Helden lebt sie nicht nur in ständiger Sorge um ihren Liebsten, sie wird mit in den Strudel der Gewalt gesogen, wird so zur Antriebsfeder der finalen Eskalation aus Zorn und Gewalt. Dionisio zeigt sich hier als eher biedere und unauffällige Durchschnittsfrau, kann ihre grosse Attraktivität aber erfreulicherweise nie verstecken. Schon ein Blick in ihre Augen beschleunigt meinen Puls, daran ändert die brav-dezente Anlage ihrer Rolle nichts
(Lustgreise aller Länder, hechelt mit mir!).
Die übrigen Gestalten suhlen sich vornehmlich im Sumpf des Verbrechens, kleine und mittelgrosse Schweinebacken treiben den Zornespegel der Helden ausdauernd in die Höhe. Überall regiert die Verdorbenheit, korruptes Pack in den Büros, brutaler Pöbel auf der Strasse. Wie bringt es einer der Schweinepriester sinngemäß auf den Punkt:
"Alle sind koruppt, nur der Preis ist unterschiedlich". Vielleicht hätte ein echter Antagonist dem Film zusätzliche Reize verliehen, allerdings erfüllt die konturarm wabernde Verbrecherflut ihren Zweck, unterstreicht die geringen Erfolgsaussichten der Aufrechten. Da passt dann auch das Finale pefekt ins Bild, über dessen Verlauf ich mich allerdings nicht auslassen werde.
Michele Massimo Tarantini hat dem Genre mit "Poliziotti violenti" keinen Höhepunkt zugefügt. Solides Handwerk und schmackhafte Ingredienzien vereinen sich zu einem unterhaltsamen Beitrag für Liebhaber, Neulinge werden nicht abgeschreckt, finden aber bei Lenzi und/oder Di Leo geeignetere Einstiegsdrogen. Den Score steuerten übrigens die De Angelis Brüder bei, daher wird auch in dieser Disziplin guter Stoff aufgeboten. Dank der DVD aus dem Hause Eyecatcher liegt der Film in ansprechender Verfassung vor, neben der deutschen Synchronisation befinden sich auch der italienische Originalton und die englische Variante an Bord. Im Bonusbereich gibt es Trailer zu weiteren Titeln des Labels zu bestaunen. Ursprünglich wurde die Scheibe in Hartboxen ausgeliefert, inzwischen dient ein herkömmliches Amaray-Case als Verpackung. Über die Seriösität der Label Eyecatcher, NEW (usw.) wurde bereits häufig diskutiert, ich will mich an dieser Stelle nicht dazu äussern.
Zieht man die Spitze des Genres zum Vergleich heran, müsste sich dieser Streifen mit einer Bewertung im Bereich 6-6,5/10 begnügen. Durch meine stets freundlich eingefärbte Fanbrille erblicke ich jedoch eine kleine 7/10
(gut).
Lieblingszitat:
"In dieser verdammten Stadt scheint es nur Gewalt zu geben."