Genussmensch hat geschrieben:
- Wie kommt Ihr zu der Annahme, dass es sich bei den Bildungspolitikern und der Ministerialbürokratie in Berlin um hervorragende Experten handelt, wohingegen sich in den Ländern offenbar nur die Deppen aus der Provinz tummeln?
Ich glaube, dass sich die Deppen gleichmäßig auf die Hauptstadt und die Provinz verteilen.
Ich glaube, dass die ganzen Bildungsdebatten leider ideologisch motiviert sind und auch in der Weise geführt werden. Keinen interessiert, was das Beste für die Kinder ist und keinen interessiert, was das Beste für die Zukunft des Landes ist. Die einen wollen die sogenannten bürgerlichen Eliten erhalten und deshalb unter Verweis auf den Leistungsgedanken den Flaschenhals nach oben möglichst eng machen. Die anderen wollen unter Verweis auf Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich eine Wohlfühloase schaffen, die keinen stresst. Beides ist falsch. Die ideologischen Positionen verhindern, dass wir uns auf einen gesunden Mittelweg verständigen. Das wird meines Erachtens nur durch zentrale Anforderungen auf Bundesebene funktionieren.
Genussmensch hat geschrieben:
- Könnte es vielleicht, mit Blick auf die so hochgelobte Bildungspolitik der DDR, sein, dass dort ein wenig mehr Strenge und Disziplin vorherrschte, als dies in den meisten der heutigen Schulen der Fall ist, zumal in den Schulen der reformorientierten Länder? Wäre es denkbar, dass der Nexus zwischen Leistungsgedanken und schulischem Erfolg eine systemübergreifende Konstante ist, die zu allen Zeiten gute schulische Ergebnisse hervorgebracht hat und hervorbringen wird?
Das ist so, definitiv. Und das finde ich auch nicht falsch. Allerdings muss ich ein bisschen Wasser in den Wein gießen: Der Zugang zum Abitur war in der DDR noch mehr verknappt als in Bayern. Einen Notenschnitt besser als 1,5 nach der neunten Klasse und keine politischen Hinderungsgründe waren Voraussetzung für den Zugang zur EOS. Ausnahmen: Berufswunsch Politoffizier oder Russischlehrer.
Genussmensch hat geschrieben:
- Und wenn das so wäre: Könnte es dann nicht sein, dass möglicherweise gerade die Länder, die in Deutschland (West) auf gute Ergebnisse verweisen können, in den letzten Jahrzehnten den Leistungsgedanken weit weniger vermeintlichen sozialen Gerechtigkeitserwägungen geopfert haben als andere Länder, die im Gewande der sozialen Gerechtigkeit den Niedergang des eigenen Bildungssystems in Kauf genommen haben? Nur als weiterführender Gedanke: Könnte es vielleicht sein, dass gerade die Länder mit den vermeintlich sozial gerechten Schulsystemen durch die Zerstörung der Haupt- und Realschule und die Abwertung aller Schulabschlüsse den Grundstein für künftige große soziale Probleme gelegt haben? Wäre es denkbar, dass der dadurch bewirkte Mangel an ausbildungsreifen jungen Menschen den deutschen Mittelstand vor große Probleme stellen wird? Wäre es denkbar, dass sich an den Hochschulen eine menge junge Leute tummeln, die dort große Probleme mit den Anforderungen bekommen werden und dem Ausbildungsmarkt fehlen? Wäre es denkbar, dass durch diesen künstlich erzeugten Run auf die Hochschulen die Qualität der Studienabschlüsse zwangsläufig leiden muss? Und was bedeutet das für die Zukunft unseres Landes, das wie kaum ein anderes von Spitzenkräften in der Wissenschaft lebt?
In meinen Augen sind Gerechtigkeitserwägungen und Leistungsgedanke kein Widerspruch. Wie bereits gesagt, bin ich auch für etwas weniger Kuschelpädagogik. Was mir wichtig ist, ist die Durchlässigkeit des Systems. Die ist derzeit nach meiner Wahrnehmung aufgrund der frühen Trennung zwischen Gymnasium und anderen Schulformen nicht gegeben. Was die Hauptschulen angeht: Meines Erachtens in der vorhandenen Form nicht mehr zeitgemäß, weil die Anforderungen an Vorkenntnisse selbst in einfacheren Berufen derart steigen, dass man damit einfach nicht mehr durchkommt.
Und wieder eine Gegenfrage: Wäre es denkbar, dass ein Schüler, der ein schlechtes Abi geschafft hat, dann aber merkt, dass er im Studium Probleme bekommt, trotzdem bessere Voraussetzungen für bestimmte Ausbildungsberufe hat als einer, der "nur" einen Realschulabschluss hat ? Ganz ehrlich: Den Unterschied habe ich bei den Azubis zur Rechtsanwaltsfachangestellten, die ich bisher erlebt habe, meist deutlich wahrgenommen.
Genussmensch hat geschrieben:
- Ist es nicht gerade der Föderalismus, der uns bislang (!) davor bewahrt hat, dass in ganz Deutschland ein unseliger gleichmacherischer, leistungsfeindlicher Geist in allen Schulen Einzug gehalten hat? Und wäre es nicht allzu realistisch, dass genau dieser Geist im Falle einer einheitlichen Bildungspolitik deutschlandweit vorherrschend wäre (sind wir ehrlich: eigentlich ist er es auch heute schon ...)? Immerhin können Politiker damit werben, möglichst jedem Kind einen Hochschulabschluss ermöglichen zu wollen, und welche Eltern wollten nicht das vermeintlich beste für ihr Kind?
Der Förderalismus fördert in meinen Augen die ideologischen Schützengräben, in denen bei diesem Thema alle sitzen.
Gruß CT