Zunächst: Der Vorwurf, nicht vorurteilsfrei und sachlich mit einer Thematik umzugehen, ist immer schnell erhoben, zumal dann, wenn einem die vorgefundene (oder so wahrgenommene) Meinung nicht passt. Er wäre zudem überzeugender, wenn man selbst ein klein wenig mehr Zurückhaltung üben würde. Denn ansonsten könnte man bei einem Zitat wie diesem:
seinerseits dazu verleitet sein, den anderen nicht mehr ernst zu nehmen. Wir sollten das nicht tun; es wäre schade um die wichtige Diskussion und wäre weder dem Thema noch den vielen substatiierten Beiträgen der Diskutanten angemessen.horch! hat geschrieben:Nenne mir eine Institution, die in ähnlich verbrecherischer Weise die Geschichte der Menschheit maßgeblich beherrscht hat.
Ganz grundsätzlich finde ich mich ein wenig überrascht in der Rolle desjenigen wieder - zumindest wenn ich horchs! fulminante Philippika lese -, der ohne wenn und aber starre Dogmen der katholischen Kirche verteidigt und jegliche Kritik an dieser Institution oder der von ihr propagierten Grundsätzen für schlechterdings unzulässig erklärt. Nichts sei mir ferner! Ich war bislang auch eigentlich nicht der Auffassung, dies so durch meinen Beitrag zum Ausdruck gebracht zu haben. Aber da mag ich natürlich irren.
Also: Kritik ist eine Grundlage unserer abendländischen Zivilisation. Sie muss immer und überall möglich und zulässig sein; ohne sie kann es keine offene Gesellschaft geben. Aber das, worum es mir in meinem Beitrag ging, erfüllt zumindest nicht meine Vorstellungen von Kritik. Kritik muss nicht immer sachlich sein; sie darf und muss manchmal polemisch, bissig und verletzend sein, wenn sie Gehör finden will. Und was hat nicht z.B. ein Voltaire für wunderbare, fulminante Polemik gegen Bigotterie und Heuchelei verfasst! Aber Kritik darf aus meiner Sicht eines nicht sein: substanzlose, nachgeplapperte Phrasen, die sich noch dazu ohne jegliches persönliche Risiko als schonungslos und mutig gerieren!
Nun zu einigen Punkten, die von horch! angesprochen wurden. Zwei Zitate erscheinen mir zentral:
horch! hat geschrieben:Prägend ja. Aber was heißt das? Es ist eine Prägung, die wir schnellstmöglich überwinden sollten, bevor wir mit unserer "Krone der Schöpfung"- und "Macht euch die Erde untertan"-Kultur unsere Lebensgrundlagen endgültig zerstört haben. Und die wirklichen Errungenschaften unserer Zeit: Demokratie, Menschenrechte, Wissenschaft - haben wir die dank dieser Institution oder trotz dieser Institution?
Die "wirklichen Errungenschaften", die Du ansprichst, sind aus meiner Sicht zunächst in einem zentralen Punkt unvollständig: Es fehlt der Rechtsstaat, den ich deshalb für zentral halte, weil er den Einzelnen gegen die Willkür staatlicher Gewalt schützt. Dessen ungeachtet gehört allerdings schon ein gehöriges Maß an bewusstem Ausblenden der kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahrhunderte dazu, den Einfluss der Kirche auf die von Dir angesprochenen Errungenschaften gänzlich zu negieren! Übrigens glaube ich, dass Du es Dir generell ein wenig einfach machst, wenn Du zwischen Kirche, Christentum und Papst trennst (wenn ich das denn so richtig herausgelesen haben sollte); das aber nur am Rande. Dass die Kirche hinsichtlich aller der von Dir angesprochenen Errungenschaften eine oft skeptische oder sogar offen feindselige Haltung eingenommen hat, ist wohl unbestritten. Gleichzeitig sollte es aber doch wohl ebenso unbestritten sein, dass die mittelalterliche, christliche Philosophie, ihrerseits mit Wurzeln bis in die Spätantike, eines der Fundamente des europäischen Denkens ist (neben der antiken Tradition und der Aufklärung), ohne die alles weitere nicht vorstellbar ist. Und das gilt doch gerade auch für die kritische Auseinandersetzung mit Positionen der Kirche! Erst die vielfältigen Konflikte beispielsweise zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter haben doch zu jener so einzigartigen abendländischen Kultur geführt, die die unsere ist, mögen wir sie ablehnen oder nicht! Es ist schlechterdings nicht möglich, den christlichen oder kirchlichen Beitrag hierzu "abzulegen". Um in diesem Zusammenhang abschließend die rhetorische Frage aufzugreifen, ob wir die erwähnten Errungenschaft dank oder trotz der Kirche haben: Manchmal dank der Kirche, oft auch trotz ihr - aber ohne ihre Prägung, ohne ihre nicht wegzudenkende Rolle als Brücke zur Antike wären manche wenn nicht alle dieser Errungenschaften so nicht eingetreten! Oder ist es etwa ein Zufall, dass Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte und Wissenschaft hier in Europa, in unserer abendländischen Kultur geschaffen wurden?horch! hat geschrieben:Wie begründest du die Einschränkung auf "vergangene Zeiten"? Eines der großen noch andauernden Verbrechen der Kirche an der Menschlichkeit ist gerade dieses Menschenbild, das sie verbreitet und das du hier so selbstverständlich übernimmst. Der Mensch ist nichts, Sünde, Dreck, er muss blind glauben, dann wird er durch Gott gerechtfertigt. Dieses Menschenbild wirkt bis heute, auch bei Nicht-Gläubigen - und es wirkt verheerend!
Noch kurz zu dem - angeblich verbrecherischen - Menschenbild, das mir in dem oben wiedergegebenen Zitat unterstellt wird: Ohne ein Experte in Fragen der christlichen oder gar speziell der katholischen Lehre zu sein, glaube ich kaum, dass es eine auch nur im Ansatz zutreffende Umschreibung wäre, dieses Menschenbild so wiederzugeben, wie es horch! getan hat. Mein Eindruck war eigentlich immer, dass das Christentum vom einzelnen Menschen ausging, von einem einzigartigen Individuum. Aber ganz unabhängig davon möchte ich doch sehr ernsthaft darum bitten, von solchen Unterstellungen Abstand zu nehmen, ich übernähme dieses oder jenes (Zerr-)Menschenbild.
Ich sehe es eben nicht so! Mein Eindruck in den Einlassungen gegenüber Papst und katholischer Kirche ist seit längerem, dass an die Stelle substatiierter Kritik Häme und Spott auf allerbescheidenstem Niveau getreten sind. Und was mich wirklich wütend macht, ist wenn sich diese vermeintliche "Kritik" noch als mutige Auseinandersetzung mit einem mächtigen und bösen Feind geriert. Will jemand ernsthaft behaupten, unter dem heutigen Zeitgeist müsste irgendjemand in Deutschland oder in Europa auch nur den allerkleinsten Nachteil für sich befürchten, wenn er kübelweise Dreck über die katholische Kirche, den Papst oder auch das Christentum ausschüttet? Im Gegenteil, er wird eifrig Zustimmung ernten und sich eben genau in dem von mir beschriebenen Mainstream befinden. Und ja, ich wünschte mir, der hier beschworene Mut zur kritischen Auseinandersetzung wäre auch in der alltäglichen Auseinandersetzung mit real existierendem Fundamentalismus hier vor unserer Haustür anzutreffen. Nur - dort könnte es ja am Ende ungemütlich werden. Da reißt man doch lieber noch einmal eine deftige Zote über den Papst und bleibt auf der sicheren Seite! Aus meiner Sicht nichts als Mitläufertum und Heuchelei, allerdings im edlen Gewande der Kirchen- und/oder Religionskritik.horch! hat geschrieben:Von wegen "mitschwimmen" - klar wir könnten uns hier über den Dogmatismus irgendwelcher Ayatollas oder Muftis auslassen, da käme wenig Widerstand, da wären wir uns hier wunderbar einig. Aber wir müssen vor der eigenen Haustüre kehren! Das ist das Gegenteil von "mitschwimmen" - viele Menschen reagieren genau wie du, empört dass man es wagen kann diese "edle" Institution nicht ernstzunehmen; Gegenwind und Unverständnis sind vorprogrammiert. Hier bei uns muss man sich mit dem Dogmatismus anlegen, auch wenn man sich damit keine Freunde macht!
Und ja, ich glaube, in einer Zeit der allgemeinen Beliebigkeit können selbst Dogmen, die man persönlich aus tiefstem Herzen ablehnt, eine eminent wichtige gesellschaftliche Funktion haben, indem sie durch ihre Sperrigkeit zum Denken und zur Reflektion des eigenen Tuns zwingen. Für denkende Menschen - meine zumindest ich - ist oft die intellektuelle Position, die diskursiv ins Hintertreffen geraten ist, die als überholt, als vorgestrig gilt und weit abseits des Mainstreams liegt, von besonderem Reiz und von besonderer Wichtigkeit, da ansonsten Monotonie und Stillstand drohen.
Soweitfür heute, viele Grüße
Genussmensch