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Das Lehrerhasser-Buch | Probleme im Schulwesen

Verfasst: Mi 1. Mär 2006, 13:09
von Amperlite
Soeben bin ich beim Stöbern auf den Uni-/Schulseiten des Spiegels auf folgende Artikel gestoßen.
Es dreht sich vornehmlich um ein Buch, welches von einer "leidgeplagten" Mutter geschrieben wurde.

Einige Aussagen lesen sich sehr hart - dennoch sehe ich da einige Ansichten, die ich für richtig halte.
Wir haben ja sicherlich einige junge Eltern im Forum, denen mancher Aspekt garnicht klar ist.

"Lehrerhasser-Artikel" auf Spiegel.de

Beispiel:
Das böse Wort vom Schulstress fällt und ruft das andere Gespenst unbeschwerter Schultage gleich mit auf den Plan: Leistungsdruck. Einige Eltern erbleichen. Uns alle durchfährt ein kalter Schauer, was die Lehrerin mit unverhohlen zufriedener Miene goutiert. Dabei hatten manche Eltern doch nur zuerst sich selbst, dann einander und schließlich die Expertin fürs frühe Lernen fragen wollen, was man denn nun sagen solle, wenn das Kind frage, ob "Fogel" beispielsweise denn nun so richtig geschrieben sei? Die wahrheitsgemäße Antwort könne das Kind verschrecken, andererseits wolle man nicht dreist lügen. Denn wie stehe man da, wenn das Kind eines Tages selbst dahinterkomme, wie der Vogel vorne geschrieben wird?
Ich als Student sitze derzeit sozusagen "zwischen den Stühlen" der Elternschaft und des Schülerdaseins.
Selbst habe ich die ersten drei Schuljahre unter einer durchaus als streng zu bezeichnenden Lehrerin erlebt. Daran habe ich nur gute Erinnerungen und das Gefühl, zwar nie mit Samthandschuhen angefasst worden zu sein, aber dennoch (oder gerade deshalb?) richtig was gelernt zu haben.
Erzählungen meiner Schwester aus der Hauptschule von einer Lehrerin ohne jedes Durchsetzungsvermögen und Selbstvertrauen empfand ich immer als schlichtweg katastrophal.

Gelehrt wird dagegen mit größter Vorsicht. Beim Schreiben etwa gilt lange die Freiheit von jedem Regelzwang: Wie das Kind es sich denkt, ist es richtig. Nicht schlecht für den Anfang, findet Mutter Unverzagt. Aber wenn der Sohn, acht Jahre alt, immer noch "Beischbiel" im Diktat schreibt, und der Lehrer malt nur ein zartes Fragezeichen an den Rand - zerbräche etwa die Kinderseele an einer Korrektur?
Genau meine Meinung. Man muss nicht jeden in Watte packen und von der Welt abschirmen. Zum Glück musste ich in der Grundschule jenes zitierte nie erleben.

Was ist eure Meinung?

Gruß,
Ampi

Verfasst: Mi 1. Mär 2006, 16:12
von BlueDanube
Nur wenn Leistung gefordert wird, wird auch Leistung erbracht!
Man muss ja die Kinder nicht schlagen, wie vor 50 Jahren....
Kinder müssen Freude an guter Leistung haben.

Mangelnde Rechtschreibung und nicht vorhandene Allgemeinbildung wirkt genauso, wie ein offenes Hosentor....man stirbt zwar nicht daran, aber es ist ziemlich peinlich und vermasselt so manche Chance...

Verfasst: Mi 1. Mär 2006, 16:40
von Homernoid
Zumindest im Osten haben wir damals ne Menge richtig gemacht. Tja. Man musste ja unbedingt das westliche Schulsystem übernehmen. Deppen! :roll:

Verfasst: Mi 1. Mär 2006, 18:23
von Edith
Homernoid hat geschrieben:Zumindest im Osten haben wir damals ne Menge richtig gemacht. Tja. Man musste ja unbedingt das westliche Schulsystem übernehmen. Deppen! :roll:
...alles andere aus dem Osten Übernommene hat sich ja auch Durchgesetzt, ausgerechnet das östliche Schulsystem wurde wohl damals verkannt und durch das unbrauchbare westliche Ersetzt. Schade nur, daß die "Ostseite" heute nach Westen schreit wir haben keine funktionierenden Systeme hier, gebt uns doch auch was ab aus dem Westen.......


Stinksauere Grüsse aus dem Westen, von einer Ostfrau die der Meinung ist, manche hören den Knall einfach nicht.

Ede

PS: Schönen Aschermittwoch an den Rest

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 09:52
von Kning
Das die Kinder erst Schreiben lernen, wie sie Lust haben, also auf korrekte Rechtschreibung zunächst kein Wert gelegt wird, und dann aber umgesteuert wird hab ich eh nie verstanden.

Der sogenannte Schulstress ist oft auch ein Produkt eines überstrapazierten Freizeitprogramms. Die Woche der Kinder ist dermaßen durchgeplant durch Freizeitaktivitäten (Sportvereine, Musikschule, Sprachschulen, Meßdiener und was weiß der Kuckuck) zum normalen Kind sein, da bleibt zu wenig ZEit. Wen wunderts dass die Kinder irgendwann alle gestresst sind.

Generell aber habe ich die Beobachtung gemacht, dass es zwar Lehrer gab, die wirklich schlecht waren, aber in den meißten Fällen haben die Eltern ein gehöriges Maß an Verantwortung für die Bildungsmisere zu tragen. Das Kind auf die Realschule zu schicken, dass kommt für viele einem Weltuntergang gleich. Gekontert wird mit Nachhilfe und Druck, in den meißten Fällen ohne Erfolg. Die Empfehlungsschreiben der Grundschullehrer für die weitere Schullaufbahn sind nicht selten Gegenstand von wütenden Auseinandersetzungen, über Schulnoten wird sogar immer mehr prozessiert.

Man kann über unser Bildungssystem, ja unsere Lehrer schimpfen, denn es gibt zurecht vieles zu kritisieren. Aber bitte, man sollte als Eltern nie vergessen, dass die Erziehung in unserem Land immer noch den Eltern obliegt und dass das wichtigste den Kindern oft vorenthalten wird. Zeit für sich und Ihre Familie.

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 10:18
von bony
Homernoid hat geschrieben:Zumindest im Osten haben wir damals ne Menge richtig gemacht. Tja. Man musste ja unbedingt das westliche Schulsystem übernehmen. Deppen! :roll:
Was war denn in der DDR anders geregelt (ehrliche Frage)?
Man muss vielleicht auch beachten, dass mittlerweile 16 Jahre verstrichen sind und es damals in den BRD-Schulen u.U. auch noch etwas anders lief.

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 10:41
von Homernoid
- 10 Klassen POS durchgängig (macht einen Klassenverbund und reisst die Kinder nicht permanent aus den Klassen)
- danach ggf. EOS (erweiterte OS)
- einheitliche Bücher / Lehrstoff etc. so dass alle auf dem gleichen Stand waren
- Hausaufgabenpflicht bzw. Nachweispflicht
- "eigenständiges Denken" wurde nicht jedesmal vorgeschoben wenn der Lehrer keine Lust hatte zum Kontrollieren der Leistungen etc.

usw. usw.

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 12:12
von J.SP
Hallo zusammen!

Hier stoßt ihr auf ein Thema, dass es ihmo nicht in ein paar Sätzen abzuhalten gilt.
Vorweg: Ich bin in als Lehrer tätig. Derzeit an einer Grundschule. Natürlich stößt es da schon negativ auf, wenn die Bildungsmisere primär an den Lehrern festgemacht wird. Nicht nur, weil es mich persönlich tangiert, sondern weil es definitiv falsch ist!
Natürlich gibt es Lehrer, die ihren Besuch auf der rechten Hosenseite absitzen und alles andere als engagiert sind. In welchem Berufsfeld gibt es das aber nicht?!
Aus meinen bisherigen Erfahrungen würde ich diese Gruppe von Lehrern auch eher in der Minderheit sehen!

Zum Thema: Lesen durch Schreiben (Das ist die Methodik, die hier an den Pranger gestellt wird).
Ihmo eine sehr sinnvolle Methode. Warum? Ganz einfach. Lernen hat primär etwas mit Erfahrungen, Motivation und Vorwissen zu tun (Stichwort: Konstruktivistisches Lernen).
KEIN Kind kommt mit den gleichen Erfahrungen in die Schule. Das schließt auch Rechtschreiberfahrungen ein!
Gerade die erste Klasse hat eine Entwicklungs- und Leistungsstandsdifferenz von mehreren Jahren!!!
Konkret: Manche Kinder können schon schreiben, andere wiederum kennen keine Buchstaben (Stichwort: Veränderte Kindheiten) Der auch in der DDR propagierte Ansatz: Alle Lernen alles gleich, zur selben Zeit, mit den selben Mitteln und Methoden ist nicht nur antiquiert, sondern völliger UNSINN! Legt es doch eine homogene Lernerschaft zu Grunde, die es einfach nicht gibt!!!
Mit Lesen durch Schreiben wird auf die Heterogenität der Vorerfahrungen sinnvoll eingegangen. Kinder kommen in der Regel in die Schule, um die Grundfertigen zu lernen. Jetzt stelle man sich vor, dass ein Kind (und es gibt sehr viele davon) bereits schreiben kann und nun gezwungen ist, Lesen anhand eines Fibelkurses etc. zu lernen. "Heute ist das A dran". Zwei Stunden werden A Wörter gesucht und A-Reihen werden in Klein- und Großbuchstabenreihen stupide runtergeschrieben. Klar gehört das Üben der Buchstaben auch dazu. Aber wann kann das Kind endlich zeigen, was es schon kann? Vermutlich gar nicht. Die Folge: UNLUST, LANGEWEILE, FRUSTRATION, ABSCHALTEN IM UNTERRICHT: SCHULE IST BLÖD!
Lesen durch Schreiben eröffnet die Möglichkeit, Kindern aktiv die Chance zu geben, das zu schreiben, was sie hören. Und dabei können schon durchaus tolle Texte entstehen. Und zwar von jedem Kind!!! Natürlich sind sie aus orthografischer Sicht untragbar. Aber ist das wirklich wichtig. Ich meine NEIN. Zumindest nicht in den ersten beiden Klassen, in denen es neben der Aneignung von Grundfertigkeiten eben auch eines eminent wichtig ist: Motivation zu schreiben. Wer motiviert ist, zu schreiben, wird definitiv viel Schreiben und dadurch gepaart mit analogen Grammatik- und Rechtschreibeinheiten von selber dazu angehalten werden, richtig zu schreiben. Nicht zuletzt auch dadurch, weil er motiviert ist, dies zu tun.
Dafür sollte das Schreiben aber für die Kinder sinnvoll sein. Es sollte einem authentischen Grund unterliegen. Und diese Beweggründe gilt es in der Schule zu schaffen. Ich persönlich gebe den Kindern oftmals die Möglichkeit, die Texte zu veröffentlichen - Kinder als Schriftsteller. Ihr glaubt gar nicht, wie motiviert die Kinder sind, ihre Texte nicht nur stilistisch, sondern auch orthografisch richtig zu schreiben. In den Schreibstunden wird permanent das Wörterbuch gezückt, nachgeschlagen, Mitschüler gefragt, ob das Wort richtig geschrieben ist etc.
Welch besseren Unterricht soll es geben, in denen Kinder von alleine so motiviert sind, wesentliche Kompetenzen sich selbst anzueignen oder zu vertiefen.
Schwierig wird es aber, wenn Eltern auftreten, die selbst noch nach antiquierten Mitteln gelernt haben und gegenüber neuen Methoden absolut unaufgeschlossen sind. Das schafft Probleme, die auch zu den Kindern drängen. Und: Futsch ist die Motivation. Mama hat gesagt, was wir hier machen, ist Unfug!
Das gibt es leider immer wieder, scheint Schule doch für viele noch der Ort zu sein, wo "Kinder alle gleich, zu selben Zeit und mit den selben Methoden" lernen MÜSSEN, die doch schon die Eltern in der Schule hatten, und schließlich können sie (welch Antagonismus, wenn ich mir die Kompetenzen mancher Eltern anschaue) es doch auch!
Tja, was soll man da sagen: Willkommen im 21.Jhr.! Wacht auf!

LG-J.SP

P.S: Natürlich ist dies nur ein Aspekt von Problemen die Schule heute hat. Ich stimme auch zu, dass die frühe Segregation alles andere als sinnvoll ist (Das hat die DDR besser gemacht), aber es würde einfach zu lange dauern, sich hier auszulassen.

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 12:52
von Homernoid
Alle Lernen alles gleich, zur selben Zeit, mit den selben Mitteln und Methoden ist nicht nur antiquiert, sondern völliger UNSINN!
Wie kommst Du auf das schmale Brett? Warum scheitert(e) das westdeutsche Modell so eklatant, gerade im Osten?
Warum ist z.B. auf einmal das Allgemeinwissen der Ostdeutschen weniger ausgeprägt als VOR der Wende? Zufall? Dumme Kinder? Dumme Eltern?

Klar. Die Lehrer streiten natürlich wieder alles ab und geben den Ball zurück. War ja logisch. ;)
Aber es geht ja nicht nur um die Lehrer sondern auch um das allgemeine WIE...
Natürlich ist nie der Lehrer alleine Schuld oder die Eltern oder das Kind.

Verfasst: Do 2. Mär 2006, 13:51
von 24hours
Homernoid hat geschrieben:
Wie kommst Du auf das schmale Brett? Warum scheitert(e) das westdeutsche Modell so eklatant, gerade im Osten?
Warum ist z.B. auf einmal das Allgemeinwissen der Ostdeutschen weniger ausgeprägt als VOR der Wende? Zufall? Dumme Kinder? Dumme Eltern?
Wir müssen jetzt doch nicht wirklich eine Ossi-Wessi-Diskussion führen, oder? Meine Behauptung: Das Allgemeinwissen ist hüben wie drüben deutlich geringer geworden... Allgemeinwissen wird zu ganz großen Teilen eben NICHT in der Schule erworben.
Klar. Die Lehrer streiten natürlich wieder alles ab und geben den Ball zurück. War ja logisch. ;)
Also, wenn abstreiten so aussieht, dann Hut ab vor J.SP.! Ich finde seine Argumentation wesentlich gehaltvoller als ein pauschales Lehrer-Bashing. Ich sehe "Lesen durch Schreiben" auch durchaus kritisch und halte es für schwache Schüler sogar für kontraproduktiv. Trotzdem denke ich, dass es seine Berechtigung hat, wenn Kollegen wie J.SP. es mit Begeisterung vermitteln (und ich finde, die kann man aus seinem Beitrag herauslesen) und den Aspekt der nötigen Korrektur berücksichtigen.
Damit es schön ins Bild passt: Ich bin Sonderschullehrer, arbeite im Gemeinsamen Unterricht mit behinderten und nichtbehinderten Kindern und finde dieses Lehrerhasserbuch unsäglich. Nicht, weil es den Finger auf durchaus bestehende Wunden legt, sondern weil es völlig destruktiv ist. Schön für Frau Unverzagt, dass sie sich ihren Frust von der Seele schreiben konnte. Vielen Dank aber auch dafür, dass jetzt einige Eltern meinen, es sei völlig okay und legitim, unverschämt und fordernd zu sein, es sich aber gleichzeitig einen Dummen angehen lassen, sich zuhause auch mal mit ihrem Kind zu beschäftigen.
Aber es geht ja nicht nur um die Lehrer sondern auch um das allgemeine WIE...
Natürlich ist nie der Lehrer alleine Schuld oder die Eltern oder das Kind.
:!: :!: :!: Da stimme ich dir ausdrücklich zu. :!: :!: :!:

Kleines Beispiel aus der Praxis: Wir haben für unsere Schüler (4. Klasse) das so genannte "Montagsthema" (von den Schülern selbst gewählt) zu dem die Klasse selbst drei Fragen entwickelt, die sie dann im Laufe der folgenden Woche selbständig beantworten muss. Unsere "Hilfe" beschränkt sich in diesem Fall lediglich auf den Hinweis, im Internet zu recherchieren (für Interessierte: www.blindekuh.de ist für Kinder prima), in die Bücherei zu gehen, einen Erwachsenen zu fragen, der Ahnung haben könnte oder ins Klassenlexikon zu schauen. Diese Vorgehensweise ist mit den Eltern abgesprochen und wir haben deutlich vermittelt, dass für diese Aufgabe die Mitarbeit der Eltern erwartet wird.
Die Kinder finden es (mal mehr, mal weniger) spannend und verblüffen uns teilweise mit tollen Ergebnissen. Es sei aber auch gesagt, dass sie uns manchmal mit folgenden Aussage verblüffen "Das hat mein Papa für mich ausgedruckt" (das Kind las eine wissenschaftliche Abhandlung vor, die sicherlich Fachstudenten noch vor Probleme gestellt hätte), "Ich wusste nicht, wen ich fragen sollte", "Ich hatte keine Zeit, in die Bücherei zu gehen" (eine Woche Zeit!). Manchmal allerdings auch mit der Antwort, die in ihrem Heft steht. Vom Montag letzter Woche:
Thema "Universität" (bisher unser anspruchsvollstes Thema)
Frage: Nenne 5 weltberühmte Universitäten!
Antwort: Havard, Oxford, Elton, Gloster, Chambrigde (Achtung, keine Tippfehler!)

Eine Schülerin brachte mir neulich folgenden Brief des Vaters mit: "Das war das letzte Mal, dass ich (sic!) die Wochenhausaufgabe gemacht habe. Bitte nehmen sie Themen, die die Kinder alleine lösen können"

Ich finde es einfach schade, dass immer sofort auf die faulen Lehrer gezeigt wird, die den Kindern nicht genug vermitteln, ohne daran zu denken, dass, wie du so richtig sagst, alle Beteiligten etwas damit zu tun haben, dass die Kinder sich gut entwickeln.

Just my 2 cents,
Michael