Seite 1 von 1

Irgendwo mal gefunden! Netter Artikel!!!

Verfasst: Mo 13. Mär 2006, 18:49
von JBL
Der Hifi-Freund
Es gibt Menschen, die geben ihr ganzes Geld für Musikanlagen aus. Porträt einer merkwürdigen Spezies

Andreas Wenderoth

Eines Tages fragte mich Stefan: "Kennst du jemand, der 'n Plattenspieler braucht?" Die Frage kam so beiläufig, dass ich sie verneinen musste. Ich kannte wirklich keinen, der "n' Plattenspieler" suchte, meine Leute wollten entweder einen LP 12 mit Ekos-Tonarm oder die große Platine Verdier. Das wird Ihnen nichts sagen, aber das macht nichts, den meisten Leuten sagt es nichts. Mit Ausnahme jenes kleinen Kreises von Enthusiasten, von denen hier die Rede sein soll. Hifi-Freunde sind Menschen, die nie glücklich sind mit der Musik-Anlage, die sie gerade haben. Dabei besitzen sie gar keine schlechten Anlagen. Sie geben nämlich ihr ganzes Geld dafür aus.

Es ist ihnen egal, wie sie herumlaufen und wenn eine neue Endstufe ansteht, essen sie notfalls ein halbes Jahr aus der Büchse. Meistens leiden ihre Beziehungen ein bisschen darunter, ihre Interessen sind etwas einseitig ausgerichtet, und ich kenne wirklich keine Frau, die sich in einen Typen wegen seiner Hornlautsprecher verliebt hätte. Auch eine Schallplattenwaschmaschine im Schlafzimmer muss eine Beziehung erst einmal verkraften. Hifi-Freunde ticken anders. Eigentlich sind es harmlose Menschen, ihre Aggressivität richtet sich in der Regel gegen sich selbst. Bedauerlicherweise bin ich einer von ihnen.

"Kennst du jemand, der 'n Plattenspieler braucht?" Die Frage war auf mich gemünzt, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Für ein Laufwerk, das in etwa soviel kostet wie ein Smart, war die Frage auch recht lässig gestellt. Stefan hatte immer eine recht indirekte Verkaufsstrategie. Er hatte eine Hifi-Firma und entwickelt unter anderem sehr wunderbare Lautsprecher. Außerdem war er der einzige Freund, dem ich gerne in gewissen Abständen meine Honorare zukommen ließ. Zwischen meinen Auftraggebern und Stefans Konto gab es so etwas wie eine Direktleitung. Nicht, dass er darauf bestanden hätte, es war vielmehr so, dass er mir immer wieder abriet, seine neuesten Entwicklungen mitzumachen. "Andreas, das brauchst du gar nicht", sagte er oft. Er meinte es freundschaftlich.

Im Falle des Plattenspielers sprach er nur davon, ihn einfach mal bei mir aufzustellen. "Hör ihn dir unverbindlich an." Der letzte Satz ist mindestens so niederträchtig wie "Das brauchst du gar nicht." Für den Hifi-Freund ist das Hören eine Art Vorspiel. Einfach mal unverbindlich hören gibt es nicht. Und schon gar nicht bei einem Olysses-Masselaufwerk. Wenn man einen der schwersten Plattenspieler der Welt in den fünften Stock getragen hat, man also satte 90 Kilo auseinandergelegt und zusammengesetzt, ihn drei Stunden justiert hat, in die Küche ging, damit er sich ein wenig einspielen konnte, und dann irgendwann zurückkehrte ins Wohnzimmer, glauben Sie mir, wenn es je etwas wie Unverbindlichkeit gab, zu diesem Zeitpunkt hat sie sich aufgelöst.

Ich kaufte ihn.

Als der neue Plattenspieler kam, standen alle Leute in meinem Haus am Fenster. Sie schwenkten Fahnen und öffneten diverse Bierflaschen, Frau Woldt redete für einige Minuten nicht von ihrer Krankheit, mein Nachbar wollte gleich etwas schweißen, und der junge Türke von unten spuckte noch einmal kräftig in den Hausflur, wie um zu zeigen, dass dies ein großer Tag für die Beschallung unserer Straße war. Okay, sie standen vielleicht nicht gerade an den Fenstern, es ist ja ein eher anonymes Haus, und das Ausspucken galt auch nicht direkt meinem Plattenspieler. Dennoch würde dieser Tag gewisse Zeichen setzen, wie später auch an den Beschwerden über zu laute Musik in meiner Wohnung deutlich wurde. Das heißt, es kamen nie direkte Beschwerden, in meinem Haus ist es so üblich, dass Beschwerden stets über Dritte mitgeteilt werden. "Die aus dem Zweiten sagt, neulich wäre sie bald hochgekommen, um was zu sagen", sagte zum Beispiel der Nachbar aus dem Vierten, was andeuten mochte, dass die aus dem Dritten auch noch recht viel davon hatten und er selbst am Ende vielleicht auch irgendwie betroffen war.

Es war ein schöner Plattenspieler. Er hatte zwei riesige ausgelagerte Motoren, die über einen Seidenfaden den zehn Zentimeter dicken Plattenteller drehten, der seinerseits auf einer schweren Granitplatte ruhte. "Er ist praktisch diebstahlsicher", hatte Stefan gesagt, denn selbst zu zweit brauchte man mehr oder weniger Stunden, um ihn fünf Stockwerke hoch zu schleppen. Aber jetzt stand er da.

Für mich begann nun die Zeit der Rundrufe. Das sah in der Regel so aus: Man rief einen Hifi-Freund an und sagte: "Du kannst jetzt mal vorbeikommen." Nichts weiter. Ähnlich geartete Anrufe bekamen parallel noch zwei bis drei andere, die die Nachricht so verstanden, wie sie gemeint war: In der Kette der Anlage wurde ein Teil ausgetauscht, von dem man sich deutliche Klangverbesserungen versprach. Man saß dann zusammen auf dem Sofa, hörte zum 73. Mal Miles Davis' "Sketches of Spain" ("Hast du noch im Ohr, wie es vor drei Wochen geklungen hat?") und war verpflichtet, sich irgendwie positiv zu äußern. Etwas war immer zu loben - wenn es Scheiße klang, lobte man eben die schöne Frontplatte aus poliertem Stahl. Im schlimmsten Fall (auch die Frontplatte sah Scheiße aus) sagte man einfach, wie toll die Musik war - was ja noch gar nichts über die Anlage sagte. Jedenfalls wäre es mir nicht im Traum eingefallen, jemandem die Freude zu nehmen an etwas, für das er, sagen wir, zum Beispiel 87 Jahre die Zeitschrift "Hifi-Image" hätte abonnieren können.

Gerhard war da weniger feinfühlig. "Also wenn ich so hören würde, müsste ich kotzen", sagte er manchmal. Oder: "Na, wenn du damit zufrieden bist." Einmal, als ihm mein neu getunter Lautsprecher wenig zusagte, meinte er: "Den kannste ins Badezimmer stellen." Manchmal auch: "Ich sag mal lieber nichts!" Den vernichtenden Urteilen folgte eine Kette von Hinweisen, wie die Situation unter Umständen zu retten war. Eingeleitet wurden sie in der Regel mit "Also, wenn ich du wäre", und dann kam eine Liste von Verkaufsempfehlungen. Das wollte man nicht immer hören.

Als Gerhard noch nicht versuchte, uns seine Sachen zu verkaufen, konnte man in gewisser Weise mit ihm reden. Nicht, dass ich es je verstanden hätte, darum ging es auch nie, aber gerade in Phasen emotionaler Wirren, wo sich, sagen wir, die falsche Frau für einen interessierte oder die richtige nicht oder nicht mehr, in jenen Momenten also, da der Himmel über einem zusammenzubrechen drohte, konnte es sehr beruhigend sein, jemand zu haben, der deine Emotionen vollständig ignorierte und statt dessen ungerührt eine Stunde über die Vor- und Nachteile einpunktgelagerter Tonarme erzählte. Ein bisschen war es so, als stünde man am Meer und hörte den Wellen zu.

Immer wenn er sich gerade etwas Neues gekauft hatte, rief er mich an und erzählte, warum seine abgelegten Teile gerade für meine Anlage eine besonders sinnvolle Ergänzung darstellten. Machte ich ihn darauf aufmerksam, war er gekränkt und sagte, er hätte mir nur einen freundschaftlichen Rat geben wollen. Selbstverständlich bräuchte er mich nicht, um seine Kabel loszuwerden, er habe Kontakte, er wisse von Menschen, die sich glücklich schätzten, "da brauch ich nur einmal mit dem Finger zu schnippen", aus der Hand würden sie es ihm reißen.

Gerhard war die Mutter aller Hifi-Freunde, jedenfalls sah er sich so. Seine Ansichten über Musik waren im Grunde katastrophal. Eigentlich interessierte sie ihn gar nicht. Ihm ging es ausschließlich um die Wiedergabe. Nicht was, sondern wie etwas klingt. Er hörte zum Beispiel gerne Streicher, weil ein Streichquartett hohe Anforderungen an den Hochtöner stellte. Die Komponisten waren ihm egal. Miles Davis fand er bis auf eine Platte extrem langweilig und Johann Sebastian Bach hat ihn, soweit ich weiß, ganze zwei Wochen interessiert. Bach hatte im Vergleich mit einer besonders feinen Aufnahme peruanischer Andenmusik einfach den kürzeren gezogen.

Bei sich zu Hause hatte Gerhard aus akustischen Gründen zwei Wände versetzt, eine Zwischendecke entfernt, wobei sich das Kinderzimmer geringfügig verkleinerte, was ein bisschen Stress mit seiner Frau gab - aber letztlich ziehen Kinder irgendwann aus, und Musik hört man immer. An den Wänden standen Absorberplatten, die Gerhard aus optischen Gründen mit einer Art Designer-Bettwäsche überzogen hatte, was dem Wohnzimmer einen sehr eigenen Charakter verlieh. Außerdem hatte er ein Akustikpulver gekauft, 30 Gramm für 50 Euro, das unter die Farbe gerührt, die Klangeigenschaften des Raumes angeblich verbessern sollte. Ich habe es vorher und hinterher gehört und kann versichern, dass mir keinerlei Unterschiede auffielen. Selbstverständlich sagte ich ihm, dass es mit dem neuen Pulver nun gar kein Vergleich mehr wäre. Viel luftiger würde es klingen, losgelöster und straffer auch in den Bässen und was wir so alles sagten, wenn wir uns eine Freude machen wollten.

Gerhard änderte seine Meinungen über Verstärker und Boxen schneller, als er sie wieder verkaufen konnte. Wenn er etwas kaufte, war er jedoch zunächst vollständig davon überzeugt und redete so lange darüber, dass wir anderen es auch irgendwann waren. Schwierig wurde es für uns, wenn wir nun gerade diesen oder jenen, sagen wir, Vorverstärker gekauft hatten, von dem er übermorgen bereits behaupten würde, er taugte leider gar nichts. Man könnte sich nur noch beherzt trennen. Das Problem mit Gerhard war, dass er wie ein ruhiger und besonnener Mensch wirkte. "Also, du musst dir das so vorstellen, Andreas." So leitete er seine für mich in der Regel völlig unverständlichen Ausführungen ein. Ich sagte ihm dann meistens, dass ich mir leider gar nichts darunter vorstellen konnte, warum ein Zinnfolienkondensator in der Lautsprecherweiche entscheidende Klangvorteile brachte, dass es aber gut ist, dass es so war und ich im Prinzip, wenn er es also für richtig hielt, mit einigen Lötarbeiten einverstanden wäre. Er gab mir die Typenbezeichnungen durch, die ich bei "Warp-Elektronik" am Richard-Wagner-Platz kaufen sollte, und wenig später schritten wir dann zur Operation.

Gerhard ließ grundsätzlich nichts wie es war. Eine verschraubte Rückseite lud ihn zunächst einmal ein, jene Schrauben zu lösen, sonst wären sie ja nicht da. Er betrachtete dann die Schaltung meist nur sehr kurz, sagte mehr zu mir als zu sich, "ah, ja, alles klar" und begann dann aufzuzählen, welche Bauteile man möglicherweise mit Gewinn austauschen konnte. Da bei hochwertigen Lautsprechern die Bauteile des linken und rechten Lautsprechers exakt abgeglichen waren, Gerhard aber sowohl jenen Messungen wie auch der Tatsache, dass sie überhaupt durchgeführt wurden, misstraute, kaufte er in der Regel alle Bauteile noch einmal und lötete dann völlig neue Platinen. Was auch deshalb nützlich wäre, weil man nie wüsste, wie schlampig andere Leute löteten. Ich selbst weigerte mich hartnäckig, vollständig neue Platinen von ihm anfertigen zu lassen, räumte ihm jedoch, im Sinne unserer Freundschaft, das Recht ein, den einen oder anderen Kondensator auszutauschen. Meistens hatten Gerhards Eingriffe in der Tat gewisse Auswirkungen auf die Musik. Was genau passieren würde, war allerdings jedes Mal unklar. Auch Gerhard vermochte nicht, es zu kontrollieren. So war die Überraschung stets groß. Es konnte sein, dass die Geigen körperhafter oder präsenter klangen, genauso gut konnten sie aber auch gänzlich verschwunden sein.

Heute klang die Sopranistin nach erfolgtem Eingriff wie ein Tenor.

"Gerd, hörst du das nicht?"

"Lass es einfach noch ein paar Tage einspielen."

Gerhard hatte mir vorgerechnet, dass ich, würde ich meine Lautsprecherkabel verkaufen, nur wenig mehr als das Dreifache investieren müsste, um mindestens doppelt so gut hören zu können. Gerhard quantifizierte sehr gerne. Einmal hatte er eine Box entdeckt, von der er behauptete, eine von ihnen spiele bereits doppelt so gut wie meine beiden. Stefans Meinung über Gerhard war nicht viel höher als Gerhards aktuelle Meinung über Stefans Boxen. Während sich die jedoch nächste Woche schon ins Euphorische wenden konnte, würde Stefan seine Meinung über Gerhard nicht ändern. Für Stefan waren Leute wie Gerhard schuld daran, dass die Szene kaputt ging. Natürlich musste man auch sagen, dass sie bereits ganz überwiegend aus Leuten wie Gerhard bestand.

Unsere Hifi-Treffen mündeten in der Regel in die völlige Erschöpfung aller Beteiligten - bei zunächst sehr mangelhaftem Hörergebnis. Gerhard jedoch gab jedes Mal zuversichtlich zu verstehen, dass in der Tendenz das Klangbild nun viel klarer geworden sei und sich natürlich alles erst einspielen müsse. In drei Tagen sollten wir telefonieren und "bis-dahin-möglichst-immer-laufen-lassen-auch-nachts!" Meistens rief er schon nach zwei Stunden an und erklärte, was sich alles verändert hatte. Obwohl er es seit mindestens zwei Stunden ja gar nicht mehr hören konnte. "Jetzt biste glücklich, he?" fragte er am Ende einer langen Aufzählung von Gründen, die glücklich machen mussten, wobei er seine Verdienste an meinem Glück (das ich selbst keineswegs empfand) stets ins rechte Licht zu rücken verstand.

Diesmal trafen wir uns bei ihm. Gegen halb neun, weil dann, wie Gerhard überzeugt war, "der Strom ruhiger fließt". Wer am Tage Musik hörte, konnte es eigentlich auch lassen, sagte Gerhard. Ein Profi höre abends. Am Telefon hatte er mir bereits einen "Kulturschock" versprochen, eine Bemerkung, die sowohl meine eigene Hifi-Anlage herabsetzen sollte als auch andeuten wollte, dass er persönlich nun einer perfekten Lösung schon recht nahe gekommen war. Am Eingang stand eingepackt im Karton ein Lautsprecher, den er sich noch am Vortag hatte schicken lassen, wie immer "nur zum Test". Morgen würde er ihn zurückschicken. Schon nach einer Stunde intensiven Hörens hatte er sich dagegen entschieden, weil plötzlich so eine Art "Muffigkeit" ("als wenn ein Mantel drüberhängen würde") im Raum war und auch die Geigen "irgendwie dosig" klangen. Die Menschen jener Firma wären zwar sehr freundlich gewesen, er hatte wie immer zuvor - über mehrere Tage verteilt - einige Stunden am Telefon mit dem Chef gesprochen. Nur: "Für die bin ich einfach 'ne Nummer zu groß!"

Neulich rief mich Gerhard mit dem Handy vom Ostseestrand Warnemünde an, wo er das erste Mal in seinem Leben ein klassisches Konzert besucht hatte. Er hatte eine Aufführung des dortigen Kurorchesters mit Ausschnitten aus Vivaldis "Jahreszeiten" gehört und war nun der Meinung, dass es viel vernünftiger war, sein Geld für Konzertkarten als für "Hifi-Scheiße" auszugeben. Der Cellospieler hätte sich oft verspielt, aber wie Gerhard sagte, am Ende "immer wieder seinen Weg zurückgefunden", was ihn offenbar sehr beeindruckt hatte. Ein Livecello klänge auch völlig anders als auf der Anlage. "Die vergessen doch alle worum's geht", sagte Gerhard und sprach von Spinnern. Er wollte seine Anlage jetzt verkaufen.