CD der Woche: PJ Harvey - Stories from the City...
Verfasst: Di 4. Apr 2006, 01:17
Irgendwann in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts, kam ich mit der Musik von PJ Harvey in Berührung. Ein Arbeitskollege lieh mit die Alben "Dry" und "Rid of me" aus. Ich brach zunächst nicht in Begeisterungstürme aus, aber es reichte immerhin zum Kauf von "Rid of me". 1995 nahm ich dann mit einer gewissen Vorfreude, den Release des dritten Albums "To bring you my Love" wahr. Polly Jean lotete die Grenzen ihrer Stimme aus. Von tiefem Grollen bis nahezu hysterischen Vokalübungen, alles ist auf diesem Album zu finden. Vor allem eine sehr ausgeprägte Eigenständigkeit, denn das Werk entzieht sich jeder Schublade.
Die zweite Hälfte der Neunziger, waren für das Blap eine sehr turbulente Zeit. In dieser Phase verlor ich den Anschluss an das Schaffen einiger Künstler. So hat das 1998 veröffentlichte Album "Is this Desire?", bis heute nicht den Weg in meine Sammlung gefunden. (Was sich aber bald ändern wird.) Vor kurzem wanderte "To bring you my Love" endlich wieder in den Player. Verdammt! PJ hat doch nach 1995 noch weitere Alben veröffentlicht. Was sehen meine entzündeten Augen bei Amazon? "Stories from the City, Stories from the Sea" zum Schleuderpreis unterhalb 8. Natürlich musste die Scheibe sofort her. Ab in den Player damit, und...
...Überraschung! "Stories..." klingt sehr organisch, nicht so verschroben wie die älteren Alben, aber biedert sich zu keiner Sekunde dem Massengeschmack an. Natürlich dominiert PJs Gesang, in Verbindung mit den gewohnt starken Texten, das Album durchgehend. Aber sie lässt den Songs mehr Raum zum atmen, Melodien entfalten sich und Frau Harvey singt meist in ihrer normalen Stimmlage. Vokalakrobatik welche die Grenzen der Machbarkeit auslotet findet man hier eher selten, und wenn dann in angenehm dosierter Menge. Es ist schon seltsam. Da ist seit fast sechs Jahren ein tolles Album von einer tollen Musikerin auf dem Markt, und es fällt mir erst jetzt in die Hände.
"Big Exit" läutet das Album geradeaus rockend ein. Der Refrain ist ein echter Killer. Als Neuling wird man vielleicht nach einem Referenzpunkt suchen, mit dem sich die Stimme von PJ vergleichen lässt. Ehrlich gesagt: Mir fällt keiner ein. PJ Harvey ist eben PJ Harvey. Das gilt nicht nur für die Stimme sondern auch für ihre Musik. Nach dem starken Opener sofort der nächste Hammer. "Good Fortune" geht mir seit etlichen Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Zu den Zeilen:
And I feel like some bird of paradise
My bad fortune slipping away
And I feel the innocence of a child
Everybody's got something good to say
hüpft das Blap durchs Wohnzimmer. Gute Laune ohne peinliche Flachheiten. Danke Polly Jean. Aber schon geht es mit "A Place called Home" weiter. Der Song klingt als wolle Polly, die mit "Good Fortune" erzeugte Stimmung festhalten. Und es gelingt ihr souverän! "One Line" beginnt bedächtig, schleicht auf den Hörer zu, packt beim Refrain gnadenlos zu. Hier muss ich einfach nochmal erwähnen, dass PJ es inzwischen wirklich drauf hat, den Song mit ihrer fantastischen Stimme nicht zu erdrücken, sondern alles eine wundervolle Einheit ergibt. "Beautiful Thing" ist sparsam instrumentiert, und lässt uns eine kleine Verschnaufpause. "The Whores hustle and the Hustlers Whore" kommt mit kraftvollen Gitarren daher. Der Song ist sehr temperamentvoll, und gegen Ende lässt PJ ihre Stimme in hohe Lagen entschweben. Nun hat Thom Yorke aus dem Hause Radiohead einen Gastauftritt. "This Mess we're in" lebt vom Gesang der beiden Hauptakteure. Besonders interessant ist hier die Rollenverteilung. Yorke wirkt gewohnt fragil und weinerlich, PJ erdet den Song mit warmer Stimme.
Bei "You said something" haut mich der Gesang um. Der Text ist eine wundervolle kleine Geschichte, sehr emotional und doch völlig frei von Kitsch vorgetragen. "Kamikaze" deutet namentlich an, dass es nun etwas heftiger zur Sache gehen wird. Die Gitarren schrammeln, PJs Stimme geht in den höheren Lagen, wie ein Senkrechtstarter ab. "This is Love" grummelt und wirkt zunächst eher sperrig. Zündung vielleicht ein wenig später, aber dann ebenfalls heftig.
You're the only story that I never told
You're my dirty little secret, wanna' keep you so
Come on out, come on over, help me forget
Keep the walls from falling on me, tumbling in
- This is love that I'm feeling
Nicht doch...
"Horses in my Dreams" wird langsam eingeblendet. Herzergreifend, sentimental, intim. Man wäre geneigt zu schreiben, dass dieses Stück der ideale Abschluss für ein starkes Album wäre. Aber es geht noch genialer. "We float" fasst viele Emotionen des Albums zusammen, und fliesst tatsächlich sehr entspannt und angenehm durch Leib und Seele. Der kurze Refrain ist sehr eindrucksvoll und phantastisch gesungen. Brauchten die Alben von Polly Jean, sonst immer einige Durchläufe um zur Entfaltung zu gelangen, so zündete diese Scheibe bei mir sofort. Kurz nach "Stories from the City, Stories from the Sea", musste natürlich aus das 2004 veröffentlichte "Uh Huh Her" angeschafft werden. Ein sehr faszinierender, kantiger Gegensatz, zum hier besprochenen durchaus zugänglichen Vorgänger!
Weitere Empfehlungen:
Rid of me (1993) - Frech, verschroben und sperrig. Starkes Album.
To bring you my Love (1995) - Kaum in Worte zu fassen. Eigenständig, intensiv und angenehm spröde.
Uh Huh Her (2004) - PJ spielt fast alle Instrumente selbst. Kantiger und kratzbürstiger denn je! Klasse!
Edit: Tippfehler beseitigt.
Die zweite Hälfte der Neunziger, waren für das Blap eine sehr turbulente Zeit. In dieser Phase verlor ich den Anschluss an das Schaffen einiger Künstler. So hat das 1998 veröffentlichte Album "Is this Desire?", bis heute nicht den Weg in meine Sammlung gefunden. (Was sich aber bald ändern wird.) Vor kurzem wanderte "To bring you my Love" endlich wieder in den Player. Verdammt! PJ hat doch nach 1995 noch weitere Alben veröffentlicht. Was sehen meine entzündeten Augen bei Amazon? "Stories from the City, Stories from the Sea" zum Schleuderpreis unterhalb 8. Natürlich musste die Scheibe sofort her. Ab in den Player damit, und...
...Überraschung! "Stories..." klingt sehr organisch, nicht so verschroben wie die älteren Alben, aber biedert sich zu keiner Sekunde dem Massengeschmack an. Natürlich dominiert PJs Gesang, in Verbindung mit den gewohnt starken Texten, das Album durchgehend. Aber sie lässt den Songs mehr Raum zum atmen, Melodien entfalten sich und Frau Harvey singt meist in ihrer normalen Stimmlage. Vokalakrobatik welche die Grenzen der Machbarkeit auslotet findet man hier eher selten, und wenn dann in angenehm dosierter Menge. Es ist schon seltsam. Da ist seit fast sechs Jahren ein tolles Album von einer tollen Musikerin auf dem Markt, und es fällt mir erst jetzt in die Hände.
"Big Exit" läutet das Album geradeaus rockend ein. Der Refrain ist ein echter Killer. Als Neuling wird man vielleicht nach einem Referenzpunkt suchen, mit dem sich die Stimme von PJ vergleichen lässt. Ehrlich gesagt: Mir fällt keiner ein. PJ Harvey ist eben PJ Harvey. Das gilt nicht nur für die Stimme sondern auch für ihre Musik. Nach dem starken Opener sofort der nächste Hammer. "Good Fortune" geht mir seit etlichen Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Zu den Zeilen:
And I feel like some bird of paradise
My bad fortune slipping away
And I feel the innocence of a child
Everybody's got something good to say
hüpft das Blap durchs Wohnzimmer. Gute Laune ohne peinliche Flachheiten. Danke Polly Jean. Aber schon geht es mit "A Place called Home" weiter. Der Song klingt als wolle Polly, die mit "Good Fortune" erzeugte Stimmung festhalten. Und es gelingt ihr souverän! "One Line" beginnt bedächtig, schleicht auf den Hörer zu, packt beim Refrain gnadenlos zu. Hier muss ich einfach nochmal erwähnen, dass PJ es inzwischen wirklich drauf hat, den Song mit ihrer fantastischen Stimme nicht zu erdrücken, sondern alles eine wundervolle Einheit ergibt. "Beautiful Thing" ist sparsam instrumentiert, und lässt uns eine kleine Verschnaufpause. "The Whores hustle and the Hustlers Whore" kommt mit kraftvollen Gitarren daher. Der Song ist sehr temperamentvoll, und gegen Ende lässt PJ ihre Stimme in hohe Lagen entschweben. Nun hat Thom Yorke aus dem Hause Radiohead einen Gastauftritt. "This Mess we're in" lebt vom Gesang der beiden Hauptakteure. Besonders interessant ist hier die Rollenverteilung. Yorke wirkt gewohnt fragil und weinerlich, PJ erdet den Song mit warmer Stimme.
Bei "You said something" haut mich der Gesang um. Der Text ist eine wundervolle kleine Geschichte, sehr emotional und doch völlig frei von Kitsch vorgetragen. "Kamikaze" deutet namentlich an, dass es nun etwas heftiger zur Sache gehen wird. Die Gitarren schrammeln, PJs Stimme geht in den höheren Lagen, wie ein Senkrechtstarter ab. "This is Love" grummelt und wirkt zunächst eher sperrig. Zündung vielleicht ein wenig später, aber dann ebenfalls heftig.
You're the only story that I never told
You're my dirty little secret, wanna' keep you so
Come on out, come on over, help me forget
Keep the walls from falling on me, tumbling in
- This is love that I'm feeling
Nicht doch...
"Horses in my Dreams" wird langsam eingeblendet. Herzergreifend, sentimental, intim. Man wäre geneigt zu schreiben, dass dieses Stück der ideale Abschluss für ein starkes Album wäre. Aber es geht noch genialer. "We float" fasst viele Emotionen des Albums zusammen, und fliesst tatsächlich sehr entspannt und angenehm durch Leib und Seele. Der kurze Refrain ist sehr eindrucksvoll und phantastisch gesungen. Brauchten die Alben von Polly Jean, sonst immer einige Durchläufe um zur Entfaltung zu gelangen, so zündete diese Scheibe bei mir sofort. Kurz nach "Stories from the City, Stories from the Sea", musste natürlich aus das 2004 veröffentlichte "Uh Huh Her" angeschafft werden. Ein sehr faszinierender, kantiger Gegensatz, zum hier besprochenen durchaus zugänglichen Vorgänger!
Weitere Empfehlungen:
Rid of me (1993) - Frech, verschroben und sperrig. Starkes Album.
To bring you my Love (1995) - Kaum in Worte zu fassen. Eigenständig, intensiv und angenehm spröde.
Uh Huh Her (2004) - PJ spielt fast alle Instrumente selbst. Kantiger und kratzbürstiger denn je! Klasse!
Edit: Tippfehler beseitigt.