CD der Woche: Phillip Boa - Lord Garbage
Verfasst: Do 21. Sep 2006, 16:47
Viel wurde über Boa und seinen Voodooclub geschrieben. Besonders in den späten achtziger Jahren, überschüttete man den "Ruhrpott-Bowie" mit guten Kritiken. Diese Phase sollte bis ca. Mitte der neunziger Jahre anhalten. Danach suchte sich die Presse neue Lieblinge, was aber der Qualität von Phillips Musik keinen Abbruch tat. Was erwartet den Hörer? Für "Boa-Neulinge" ein Versuch die Musik zu beschreiben: Pop, Rock mit Tiefgang und viel Abwechslung. Man erkennt Boa sofort, und doch kann er immer wieder überraschen. Sein kantiger Gesang, findet einen wundervollen Gegenpol in der Stimme von Pia Lund. Unübertroffen sein Gespür für schöne Melodien, die er auf den frühen Alben gern zerhackt, vermutlich aus der Furcht heraus, ansonsten zu kommerzielle Töne anzuschlagen. Es fällt schwer Boa einzuordnen. Der oft als Referenz angeführte Vergleich mit David Bowie, erscheint mir auch nicht wirklich zutreffend. Boa hat es geschafft, sein eigener Kosmos zu sein. Sein eigenes Genre.
Fangen wir mit der Betrachtung des Schaffens beim Debut an. "Philister" wurde 1985 veröffentlicht, und von Presse und Hörern positiv aufgenommen. Aus heutiger Sicht scheint mir dieses Album, eher einen gewissen historischen Wert für Fans zu haben. Songwriting und Produktion wirken wie gehobene Amateurklasse, was allerdings zu einem gewissen "Kultfaktor" beiträgt. Bereits Album Nr.2 "Aristocracie", aus dem Jahre 1986, zeigt Boa und seinen Voodooclub deutlich gereift. Man schrammt hier nur noch knapp an der Spitzenklasse vorbei. Nach dem zweiten Album wechselte Boa zu einem Major Label. Was für ein Skandal! Boa, den man in die Schublade "Indie-Avantgarde-Pop" einsortieren wollte, begab sich bereits nach zwei Alben, in die Fänge der bösen Industrie! Erwartet den Hörer nun ein polierter, geschliffener Boa? Mitnichten! Das Songmaterial auf "Copperfield" (1988) erreicht Weltklasseniveau, allerdings könnte die Produktion etwas mehr Glanz vertragen. (Inzwischen liegt Copperfield als Remaster mit Bonustracks vor. Leider kenne ich diese Version noch nicht.) 1989 geht es weiter aufwärts. "Hair" enthält mit "Container Love" einen kleinen Single Hit, bei der Produktion setzt Boa auf anerkannte Könner (u.a. Tony Visconti). Leider kann das Album musikalisch nicht vollständig überzeugen. War "Copperfield" musikalisch auf durchgehend hohem Niveau, schleichen sich auf "Hair" ein paar Langweiler ein. Hier wäre weniger vermutlich mehr gewesen.
Ein neues Jahrzehnt. Boa legt 1990 mit "Hispanola" einen fulminaten Auftakt vor. Konnte man auf den Vorgängern immer kleinere Unzulänglichkeiten entdecken, stimmt hier nun wirklich alles. Musikalisch sehr vielschichtig, poppige Ohrwürmer, verschrobene Avantgarde, Genie und Wahnsinn gehen Hand in Hand. Obwohl unglaublich abwechslungreich, wirkt das Album wie aus einem Guß. Selbst die Cover-/Bookletgestaltung ist absolut phantastisch ausgefallen. Ab jetzt setzt Boa zum musikalischen Höhenflug an. Bereits 1991 liegt die nächste Großtat "Helios" vor. Boa lebt inzwischen auf Malta, was seiner Musik und dem Umgang mit Melodien sehr gut tut. Er muss Ohrwürmer nicht mehr vorsätzlich zerstören, lässt sich aber weiterhin Raum für abgedrehte Momente. Mit "Boaphenia" (1993) erschafft er sein bis dato eingängigstes Album. Die Presse überschlägt sich geradezu, die Fans nehmen das Werk ebenfalls mit Begeisterung auf. Rastlos und energiegeladen treibt Boa sein Schaffen zügig vorwärts. 1994 steht "God" in den Regalen. Damit nicht genug, denn Boa lebt seine "dunkle" Seite mit dem Metal-Projekt "Voodoocult" aus, und stellt zeitgleich dessen Debut "Jesus Killing Machine" in die Läden. Dabei wird er von namhaften Krawallbrüdern, wie z.B. Dave Lombardo (Slayer) und Mille Petrozza (Kreator) unterstützt. Mit der Veröffentlichung von "God" werden erste etwas zurückhaltendere Kritikerstimmen laut. Man bewertet das Album zwar durchweg positiv, aber oft ist zu lesen, "God" wäre eine Art "Boaphenia Part 2". Das sehe ich anders. Zwar sind sich die Alben durchaus ähnlich, aber "God" bietet mehr Abwechslung, und deckt eine grössere Bandbreite ab. 1995 schiebt Boa ein weiters Voodoocult Album nach. Dazu gibt es noch eine kleine Tour, danach ist das Thema Voodoocult erledigt.
1996 ist Boa mit "She" am Start. Hier experimentiert er mit viel Elektronik, die erste Single "Deep in Velvet" ist durchaus tanzbar. Die Presse reagiert gespalten auf das Album. Mir unverständlich denn "She" ist wundervolles, buntes Werk, und gehört in jede anständige Sammlung. Privat hatte es zwischen Phillip, und seiner Göttergattin Pia schon einige Zeit gekrieselt, was letztendlich auch zur künstlerischen Trennung führt. Damit wären wir beim hier vorgestellten Album "Lord Garbage". Um den Schnitt noch deutlicher ausfallen zu lassen, hat Boa den Voodooclub auch gleich aus dem Namen gestrichen. So kann man "Lord Garbage", quasi als sein Solo Debut bezeichnen. Natürlich trifft dies nur eingeschränkt zu, denn Boa lässt sich weiterhin von gestandenen Musikern unterstützen. Ergo kann man den Wegfall des Zusatzes "and the Voodooclub", wohl eher als therapeutische Maßnahme betrachten.
Das Album beginnt mit dem sehr zugänglichen "Satellite Man". Soundtechnisch klingt der Einstieg in die Scheibe deutlich erdiger als bem Vorgänger "She". "Kiss my Soul" schliesst an den Opener an. Locker, frisch und ein wenig treibender, Ohrwurmgarantie inklusive. Höre ich das Album heute, kommen mir diese beiden, unbestritten schönen Titel, eher wie die Aufwärmphase auf die folgenden Highlights vor. "Sleep with me" kommt forsch, druckvoll, und überzeugtmit einem tollen Refrain. Da Boa auf diesem Album, fast völlig auf eine Frauenstimme verzichtet -Gastsängerin Alison Galea ist sehr weit in den Hintergund gemischt- schafft er sich mehr persönliche Freiräume. So fallen die Refrains teils deutlich kantiger und ungehobelter aus, treffen aber trotzdem voll ins Schwarze. "Love spread around me", verbreitet eine bittersüße Frühlingsstimmung. Obwohl ich ein grosser Fan von Pia bin, wirkt hier nichts unrund oder lückenhaft. Der Titeltrack ist eine dieser symphatischen Spinnereien, die Boa immer wieder in seine Alben
einbaut. Daher rührt vermutlich auch der, früher häufig aufgedrückte Stempel "Avantgarde Pop". Von Elektronik dominiert, klingt das Stück trotzdem völlig anders, als die Stücke auf dem Vorgängerwerk "She". "Love me like an Alien", zeigt Phillip in dezent fröhlicher, fast ein wenig schwebender, Aufbruchstimmung.
Nun schäumen die Emotionen über. "Like Gods and Heroes in Spring", packt mit kräftiger Schrammelgitarre zu, der Refrain gräbt sich tief in den Gehörgang, und setzt sich gnadenlos fest. Gerade bei diesem Song wird deutlich, dass Boa seine neue kompositorische Freiheit in vollen Zügen auslebt. Dies ist selbst aus jeder Textzeile rauszuhören. Dann folgt mein persönlicher Liebling. "Poison Envy" verzaubert mich mit seiner melancholischen Stimmung, der Refrain ist von stahlender Schönheit. Ganz grosser Sport, Herr Boa! "Happy Birthday" fällt wieder in die schrammelige Kategorie. Nicht unbedingt mein Favorit, aber mit Sicherheit mehr als ein Lückenfüller. "Bliss Disco" baut eine geheimnisvolle, fast ein wenig mystische Atmosphäre auf. Genau das richtige Vorspiel zu "Villa Hate". Aggressiv, treibend und zwingend. Boa steigt in die tiefen Abgründe seiner Stimme und Stimmungen hinab. Dieser Song hätte vermutlich auch auf den Voodoocult Alben eine gute Figur gemacht, wenn die Instrumentierung entsprechend angepasst worden wäre. Boa entlässt uns aber nicht mit einer geballten Ladung Zorn, sondern beschliesst das Album mit "The Snail Song". Eine kleine Geschiche über einen Zeitgenossen, der in seiner Verehrung für einen Filmstar gefangen ist.
Fazit: Auch ohne Pia und den Voodooclub, gelingt Phillip ein sehr überzeugendes Album. Er nutzt die neugewonnen Freiräume, klingt frisch, frech, dynamisch und unverbraucht.
Nach "Lord Garbage" reaktiviert Boa den "Voodooclub" wieder. 2000 veröffentlichte man das schöne "My private War", welches einige der wundervollsten Boa Kompositionen enthält. Auf "The Red" (2001), zeigt sich Boa wieder kantiger und unkommerzieller. Gibt man dem Album etwas Zeit, entwickelt es sich zu einem kleinen Schmuckstück. "C90" (2003) überzeugt mich nur teilweise. Sehr erfreulich ist die Rückkehr von Pia Lund, aber das Werk wirkt mir zu sehr auf "Back to the Indie-Roots" getrimmt. Für Boa Verhältnisse ein unausgegorenes Album. Ganz anders das letzte bisher veröffentlichte Album "Decadence and Isolation". Boa und Pia haben hier musikalisch wieder vollständig zusammengefunden. Das Album wirkt mit seinen kompakten, eingängigen Songs, und der druckvollen Produktion, wie aus einem Guß. Phantastisch! Unbestritten ein absolutes Highlight der beeindruckenden Boa-Discographie.
Die weiteren Empfehlungen, sollten sich eigentlich aus dem Text ergeben, aber hier trotzdem noch ein paar Zeilen:
Copperfield (1988) - Musikalisch auf Spitzenniveau, lediglich die Produktion zeigt (vertretbare) Schwächen. Wer die Remaster Version besitzt, ist hiermit ausdrücklich aufgefordert, hier ein paar Worte zu schreiben.
Hair (1989) - Neben vielen Highlights gibt es auch ein paar Ausfälle. Inzwischen auch als Remaster erhältlich.
Hispanola (1990) - Der grosse Wurf. Ein Meisterwerk in jeder Beziehung. Ebenfalls als Remaster veröffentlicht.
Helios (1991) - Boa hält die Klasse mühelos. Ein weiteres sehr beindruckendes Werk.
Boaphenia (1993) - Kompakter, melodiöser. Für Einsteiger sehr empfehlenswert.
God (1994) - Mehr Abwechslung, mehr Tiefgang als der Vorgänger. Ein oft unterschätztes Album.
She (1996) - Vom Kritikerliebling zum kritisch, fast misstrauisch beobachteten Künstler. Was war mit der Presse los? Konntet ihr nicht fassen, dass Boa schon wieder ein Glanzstück veröffentlicht hatte?
My private War (2000) - Nach Lord Garbage das zweite Album ohne Pia. Boa lässt seiner Gastsängerin, allerdings etwas mehr Raum als auf dem Vorgänger.
The Red (2001) - Boa zeigt dem Mainstream den Mittelfinger. Vielleicht nicht das ideale Album für Neulinge, aber für den aufgeschlossenen Fan ein echte Bereicherung.
Decadence and Isolation (2005) - Phillip und Pia zeigen sich hier wieder als musikalische Einheit. Ein Ohrwurm jagt den anderen. Das Album ist bei mir Dauergast in sämtlichen Playern, und zeigt keinerlei Abnutzungserscheinungen.
Edit: Tippfehler beseitigt.
Fangen wir mit der Betrachtung des Schaffens beim Debut an. "Philister" wurde 1985 veröffentlicht, und von Presse und Hörern positiv aufgenommen. Aus heutiger Sicht scheint mir dieses Album, eher einen gewissen historischen Wert für Fans zu haben. Songwriting und Produktion wirken wie gehobene Amateurklasse, was allerdings zu einem gewissen "Kultfaktor" beiträgt. Bereits Album Nr.2 "Aristocracie", aus dem Jahre 1986, zeigt Boa und seinen Voodooclub deutlich gereift. Man schrammt hier nur noch knapp an der Spitzenklasse vorbei. Nach dem zweiten Album wechselte Boa zu einem Major Label. Was für ein Skandal! Boa, den man in die Schublade "Indie-Avantgarde-Pop" einsortieren wollte, begab sich bereits nach zwei Alben, in die Fänge der bösen Industrie! Erwartet den Hörer nun ein polierter, geschliffener Boa? Mitnichten! Das Songmaterial auf "Copperfield" (1988) erreicht Weltklasseniveau, allerdings könnte die Produktion etwas mehr Glanz vertragen. (Inzwischen liegt Copperfield als Remaster mit Bonustracks vor. Leider kenne ich diese Version noch nicht.) 1989 geht es weiter aufwärts. "Hair" enthält mit "Container Love" einen kleinen Single Hit, bei der Produktion setzt Boa auf anerkannte Könner (u.a. Tony Visconti). Leider kann das Album musikalisch nicht vollständig überzeugen. War "Copperfield" musikalisch auf durchgehend hohem Niveau, schleichen sich auf "Hair" ein paar Langweiler ein. Hier wäre weniger vermutlich mehr gewesen.
Ein neues Jahrzehnt. Boa legt 1990 mit "Hispanola" einen fulminaten Auftakt vor. Konnte man auf den Vorgängern immer kleinere Unzulänglichkeiten entdecken, stimmt hier nun wirklich alles. Musikalisch sehr vielschichtig, poppige Ohrwürmer, verschrobene Avantgarde, Genie und Wahnsinn gehen Hand in Hand. Obwohl unglaublich abwechslungreich, wirkt das Album wie aus einem Guß. Selbst die Cover-/Bookletgestaltung ist absolut phantastisch ausgefallen. Ab jetzt setzt Boa zum musikalischen Höhenflug an. Bereits 1991 liegt die nächste Großtat "Helios" vor. Boa lebt inzwischen auf Malta, was seiner Musik und dem Umgang mit Melodien sehr gut tut. Er muss Ohrwürmer nicht mehr vorsätzlich zerstören, lässt sich aber weiterhin Raum für abgedrehte Momente. Mit "Boaphenia" (1993) erschafft er sein bis dato eingängigstes Album. Die Presse überschlägt sich geradezu, die Fans nehmen das Werk ebenfalls mit Begeisterung auf. Rastlos und energiegeladen treibt Boa sein Schaffen zügig vorwärts. 1994 steht "God" in den Regalen. Damit nicht genug, denn Boa lebt seine "dunkle" Seite mit dem Metal-Projekt "Voodoocult" aus, und stellt zeitgleich dessen Debut "Jesus Killing Machine" in die Läden. Dabei wird er von namhaften Krawallbrüdern, wie z.B. Dave Lombardo (Slayer) und Mille Petrozza (Kreator) unterstützt. Mit der Veröffentlichung von "God" werden erste etwas zurückhaltendere Kritikerstimmen laut. Man bewertet das Album zwar durchweg positiv, aber oft ist zu lesen, "God" wäre eine Art "Boaphenia Part 2". Das sehe ich anders. Zwar sind sich die Alben durchaus ähnlich, aber "God" bietet mehr Abwechslung, und deckt eine grössere Bandbreite ab. 1995 schiebt Boa ein weiters Voodoocult Album nach. Dazu gibt es noch eine kleine Tour, danach ist das Thema Voodoocult erledigt.
1996 ist Boa mit "She" am Start. Hier experimentiert er mit viel Elektronik, die erste Single "Deep in Velvet" ist durchaus tanzbar. Die Presse reagiert gespalten auf das Album. Mir unverständlich denn "She" ist wundervolles, buntes Werk, und gehört in jede anständige Sammlung. Privat hatte es zwischen Phillip, und seiner Göttergattin Pia schon einige Zeit gekrieselt, was letztendlich auch zur künstlerischen Trennung führt. Damit wären wir beim hier vorgestellten Album "Lord Garbage". Um den Schnitt noch deutlicher ausfallen zu lassen, hat Boa den Voodooclub auch gleich aus dem Namen gestrichen. So kann man "Lord Garbage", quasi als sein Solo Debut bezeichnen. Natürlich trifft dies nur eingeschränkt zu, denn Boa lässt sich weiterhin von gestandenen Musikern unterstützen. Ergo kann man den Wegfall des Zusatzes "and the Voodooclub", wohl eher als therapeutische Maßnahme betrachten.
Das Album beginnt mit dem sehr zugänglichen "Satellite Man". Soundtechnisch klingt der Einstieg in die Scheibe deutlich erdiger als bem Vorgänger "She". "Kiss my Soul" schliesst an den Opener an. Locker, frisch und ein wenig treibender, Ohrwurmgarantie inklusive. Höre ich das Album heute, kommen mir diese beiden, unbestritten schönen Titel, eher wie die Aufwärmphase auf die folgenden Highlights vor. "Sleep with me" kommt forsch, druckvoll, und überzeugtmit einem tollen Refrain. Da Boa auf diesem Album, fast völlig auf eine Frauenstimme verzichtet -Gastsängerin Alison Galea ist sehr weit in den Hintergund gemischt- schafft er sich mehr persönliche Freiräume. So fallen die Refrains teils deutlich kantiger und ungehobelter aus, treffen aber trotzdem voll ins Schwarze. "Love spread around me", verbreitet eine bittersüße Frühlingsstimmung. Obwohl ich ein grosser Fan von Pia bin, wirkt hier nichts unrund oder lückenhaft. Der Titeltrack ist eine dieser symphatischen Spinnereien, die Boa immer wieder in seine Alben
einbaut. Daher rührt vermutlich auch der, früher häufig aufgedrückte Stempel "Avantgarde Pop". Von Elektronik dominiert, klingt das Stück trotzdem völlig anders, als die Stücke auf dem Vorgängerwerk "She". "Love me like an Alien", zeigt Phillip in dezent fröhlicher, fast ein wenig schwebender, Aufbruchstimmung.
Nun schäumen die Emotionen über. "Like Gods and Heroes in Spring", packt mit kräftiger Schrammelgitarre zu, der Refrain gräbt sich tief in den Gehörgang, und setzt sich gnadenlos fest. Gerade bei diesem Song wird deutlich, dass Boa seine neue kompositorische Freiheit in vollen Zügen auslebt. Dies ist selbst aus jeder Textzeile rauszuhören. Dann folgt mein persönlicher Liebling. "Poison Envy" verzaubert mich mit seiner melancholischen Stimmung, der Refrain ist von stahlender Schönheit. Ganz grosser Sport, Herr Boa! "Happy Birthday" fällt wieder in die schrammelige Kategorie. Nicht unbedingt mein Favorit, aber mit Sicherheit mehr als ein Lückenfüller. "Bliss Disco" baut eine geheimnisvolle, fast ein wenig mystische Atmosphäre auf. Genau das richtige Vorspiel zu "Villa Hate". Aggressiv, treibend und zwingend. Boa steigt in die tiefen Abgründe seiner Stimme und Stimmungen hinab. Dieser Song hätte vermutlich auch auf den Voodoocult Alben eine gute Figur gemacht, wenn die Instrumentierung entsprechend angepasst worden wäre. Boa entlässt uns aber nicht mit einer geballten Ladung Zorn, sondern beschliesst das Album mit "The Snail Song". Eine kleine Geschiche über einen Zeitgenossen, der in seiner Verehrung für einen Filmstar gefangen ist.
Fazit: Auch ohne Pia und den Voodooclub, gelingt Phillip ein sehr überzeugendes Album. Er nutzt die neugewonnen Freiräume, klingt frisch, frech, dynamisch und unverbraucht.
Nach "Lord Garbage" reaktiviert Boa den "Voodooclub" wieder. 2000 veröffentlichte man das schöne "My private War", welches einige der wundervollsten Boa Kompositionen enthält. Auf "The Red" (2001), zeigt sich Boa wieder kantiger und unkommerzieller. Gibt man dem Album etwas Zeit, entwickelt es sich zu einem kleinen Schmuckstück. "C90" (2003) überzeugt mich nur teilweise. Sehr erfreulich ist die Rückkehr von Pia Lund, aber das Werk wirkt mir zu sehr auf "Back to the Indie-Roots" getrimmt. Für Boa Verhältnisse ein unausgegorenes Album. Ganz anders das letzte bisher veröffentlichte Album "Decadence and Isolation". Boa und Pia haben hier musikalisch wieder vollständig zusammengefunden. Das Album wirkt mit seinen kompakten, eingängigen Songs, und der druckvollen Produktion, wie aus einem Guß. Phantastisch! Unbestritten ein absolutes Highlight der beeindruckenden Boa-Discographie.
Die weiteren Empfehlungen, sollten sich eigentlich aus dem Text ergeben, aber hier trotzdem noch ein paar Zeilen:
Copperfield (1988) - Musikalisch auf Spitzenniveau, lediglich die Produktion zeigt (vertretbare) Schwächen. Wer die Remaster Version besitzt, ist hiermit ausdrücklich aufgefordert, hier ein paar Worte zu schreiben.
Hair (1989) - Neben vielen Highlights gibt es auch ein paar Ausfälle. Inzwischen auch als Remaster erhältlich.
Hispanola (1990) - Der grosse Wurf. Ein Meisterwerk in jeder Beziehung. Ebenfalls als Remaster veröffentlicht.
Helios (1991) - Boa hält die Klasse mühelos. Ein weiteres sehr beindruckendes Werk.
Boaphenia (1993) - Kompakter, melodiöser. Für Einsteiger sehr empfehlenswert.
God (1994) - Mehr Abwechslung, mehr Tiefgang als der Vorgänger. Ein oft unterschätztes Album.
She (1996) - Vom Kritikerliebling zum kritisch, fast misstrauisch beobachteten Künstler. Was war mit der Presse los? Konntet ihr nicht fassen, dass Boa schon wieder ein Glanzstück veröffentlicht hatte?
My private War (2000) - Nach Lord Garbage das zweite Album ohne Pia. Boa lässt seiner Gastsängerin, allerdings etwas mehr Raum als auf dem Vorgänger.
The Red (2001) - Boa zeigt dem Mainstream den Mittelfinger. Vielleicht nicht das ideale Album für Neulinge, aber für den aufgeschlossenen Fan ein echte Bereicherung.
Decadence and Isolation (2005) - Phillip und Pia zeigen sich hier wieder als musikalische Einheit. Ein Ohrwurm jagt den anderen. Das Album ist bei mir Dauergast in sämtlichen Playern, und zeigt keinerlei Abnutzungserscheinungen.
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