Seite 1 von 1

Gustavo Dudamel oder das beispiellose Beispiel

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 11:10
von whitko
Hallo an Alle,

kennt Ihr Gustavo Dudamel?

- Ja, dann seit Ihr ein aufmerksamer Kenner/Leser der Klassik-Szene;
- Nein, dann solltet Ihr Euch den Namen unbedingt merken!

Gustavo Dudamel ist ein junger Dirigent aus Venezuela, der in relativ kurzer Zeit, mit einem enormen Charisma und überragenden muskalischen Qualitäten ausgestattet, den Sprung in die Weltspitze der Dirigenten geschafft hat.
Darüber hinaus engagiert er sich musikalisch/sozial in einem beispiellosen Beispiel.
Sein Ziel war verwahrloste und arme Kinder/Jugendliche seines Landes von der Straße zu holen und eine zukunftssichere musikalische
Ausbildung zu ermöglichen.
Ergo ist es ihm gelungen der Regierung seines Landes folg. Zusage abzuringen:
Das Land Venezuela (die Regierung) ermöglichen kostenlos Kindern und Jugendlichen eine kompl. hochwertige musikalische Aus-
bildung. Die Landesregierung übernimmt alle Kosten für Instrumente, Noten, Schulen und Musiklehrern. (Venezuela ist nicht arm,
das Land hat Erdöl). Alles unter Leitung von Gustavo Dudamel, der folg. musikalische Ausbildungspyramide aufgebaut hat.
Im Alter von 6-12 J. bekommen die Kinder qualifizierte Einzelstunden, je nach Talent. In der Altersgruppe von 12-16 J. kommen die
Kinder dann erstmals in ein Orchester und spielen dort, unter Forstsetzung der Ausbildung, gemeinsam.
Von 16-19 J. kommen dann die Jugendlichen in ein neues Orchester, qualifizieren sich weiter. Die Spitze der Pyramide ist dann das
Jugendorchester von 19-26 J. unter der Leitung von Gustavo Dudamel.
Dieses Orchester hat zwischenzeitlich einen Vertrag mit der Deutschen Grammophon, liefert hervorragende Klassik-CDs ab; besitze
selber welche. Und bis hierhin hat das Land Venezuela den musikalischen Werdegang der jungen Menschen kompl. finanziert.

Nachdem Gustavo Dudamel in diesem Jahr noch die Leitung der Los Angeles Pilh. Orch. übernimmt, möchte er dieses Modell
in einigen Städten der USA wiederholen. Ebenfalls hat er in Lateinamerika, den Karibikstaaten, in Portugal und Spanien seine
Unterstützung bei der Umsetzung dieses Modells angeboten.
Und ganz "nebenbei" produziert er mit seinem Jugendorchester hervorragende CDs.
Beispiel:
Die CD "FIESTA" - Gustavo Dudamel mit Simon Bolivar youth Orchestra of Venezuela. Deutsche Grammophon Nr. 477 7457.

Ich denke jeder Musik/Klassik-Freund kann da nur sagen: HUT AB :!:

Grüße Euch

whitko

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 15:28
von whitko
Hi,

habe in meinem Eingangsposting zwei bedeutsame Punkte vergessen, na ja - hole ich jetzt nach:

1. - Die CD "FIESTA" hat sich auf Anhieb in der Deutschen Klassik-Hitparade vortrefflich platziert.

2. - So und jetzt kommts:
ZWISCHENZEITLICH GIBT ES IN GANZ VENEZUELA MEHR MUSIKER ALS SPORTLER :!: :!:

In Deutschland gibt es angeblich einen Kultur-Staatsminister (keine Ahnung wer das sein soll, ist für mich noch nie nach Aussen in
Erscheinung getreten).
Der könnte vielleicht über unser Außenministerium mal Kontakt zu Dudamel aufnehmen und sich Tipps holen :mrgreen:

Grüße Euch

whitko

Re: Gustavo Dudamel oder das beispiellose Beispiel

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 18:51
von Kaddel64
Hi whitko,
whitko hat geschrieben:kennt Ihr Gustavo Dudamel?
Sympathischer, bewundernswerter Mensch und Musiker. Und ein wirklich interessantes Projekt, dem ich auch in Zukunft Erfolg wünsche.

Seine CDs möchte ich zur Zeit eher nicht haben. Was ich mal auf Arte gehört habe, klang mir irgendwie zu "glatt" und etwas oberflächlich. Keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Zugegeben, das mag auch seinem unorthodoxen Dirigierstil geschuldet sein. Seine musikalische Entwicklung werde ich aber sicher weiterhin aufmerksam verfolgen.
whitko hat geschrieben:In Deutschland gibt es angeblich einen Kultur-Staatsminister (keine Ahnung wer das sein soll, ist für mich noch nie nach Aussen in Erscheinung getreten).
Liegt sicher AUCH daran, dass bei uns Kulturpolitik in erster Linie Länderhoheit ist. :wink:

Gruß, Kaddel

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 20:07
von whitko
Aye kaddel,

was heißt schon Länderhoheit :?:
In der Ausgabe Febr./März des Klassikmagazins "crescendo" findet man ein Gespräch des Verlages mit Aussenminister
Steinmeier unter der Überschrift "Welchen Stellenwert hat Kultur bein uns?"
Ich habe mir stellenweise verwundert die Augen gerieben, ob der Antworten die ein Kanzlerkandidat hier der Öffentlichkeit gegeben
hat.
Was nun folgt ist kein Witz!!
Auf die Frage nach Kultur im Ausland antwortete er "....die Altstadt von Hanoi".
Auf die Frage nach "....einer bundesweiten- Kulturinitiative, in Bezug auf die Länderhoheit lt. Grundges., mit stärkerer überregionaler
Signalwirkung" zog Steinmeier diesbezügl. ein bereits positives Resümee für Deutschland.
Er begründetete dies, SAGE UND SCHREIBE, mit der BERLINIALE und der LOVE-PARADE :!: :!: :!:
Nächste Frage:
"....welchen Rang nimmt Oper und Klassik in seiner möglichen Kanzlerschaft Steinmeier an"?
Ernsthafte Antwort von Steinmeier:
"...ein Neujahrskonzert im Kanzleramt" :!: :!:


Jetzt halte ich es mit Schiller - "Hier wendet sich der Gast mit Grausen....".

Ich bin kein politischer Mensch, stehe unseren demokratischen Parteien neutral, aufgeschlossen gegenüber.
Aber wenn das die Kulturvorstellungen eines Kanzlerkandidaten sind.................OH MEIN GOTT!!
Keine Ahnung, was der Mann sich bei seinen Antworten gedacht hat?!

Wie sang der alte Reinhard einmal

"Gute Nacht Freunde...".

Ein kopfschüttelnder whitko

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 21:10
von gereon
zu dudamel: ist sicher ein äußerst charismatischer musiker, der die jugend in venezuela begeistern kann und für das land sicher gut ist. dass er mit seiner arbeit natürlich auch ein aushängeschild für den bescheuerten alleinherrscher chavez wird gefällt mir weniger...

ich selbst habe ihn noch nie live erlebt, kenne allerdings einige, die seine aufführungen aus musikhistorischen gründen (bläser bis zu 4fach-besetzt, hauptsache reinbretzeln ohne rücksicht auf intonation/zusammenspiel...) ziemlich verreißen, ganz abgesehen von seinem dirigier-gebahren.

zu unserer kulturnation der dichter und denker: klar gibt steinmeier hier offensichtlich ziemlich dumme antworten, ich weiß allerdings auch nicht was das für ein interview war, um sachgerecht auf solche fragen einzugehen bräuchte man ja schon mehr als einen oder zwei sätze..

wenn ich sehe dass in manchen bundesländern fächer wie musik und kunst mit sport zusammengelegt werden, oder teilweise komplett aus dem fächerkanon verschwinden, um naturwissenschaften mehr platz einzuräumen, wundert mich aber auch nichts mehr. wie sollen in 20 oder 40 jahren noch konzertsäle gefüllt werden, wenns schon in der schule keinen interessiert...

whitko hat geschrieben: Wie sang der alte Reinhard einmal

"Gute Nacht Freunde...".
der zusammenhang war allerdings ein anderer :wink:

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 21:25
von whitko
Hallo gereon,

ich kann und will und darf nicht (habe keine Genehmigung des Verlages) das kompl. Interview hier wiederholen/2-seitig).
Worum es mir ging ist einmal

- Dudamel selbst, sowie
- seinen unbestreitbaren Erfolg Kinder und Jugendliche in großer Anzahl f.d. klassische Musik zu begeistern, sowie
- die markanten Unterschiede im Kulturverständnis zwischen einem Land der 3. Welt/Venezuela und Deutschland aufzuzeigen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Grüße Dich

whitko


PS: Ob eine Überbesetzung mit Bläsern reinbretzeln oder nicht, seine Orchester und seine CDs klingen einfach Klasse!!

Verfasst: Mo 6. Apr 2009, 21:43
von gereon
whitko hat geschrieben: Worum es mir ging ist einmal

- Dudamel selbst
ich freue mich auch darüber!
whitko hat geschrieben:- seinen unbestreitbaren Erfolg Kinder und Jugendliche in großer Anzahl f.d. klassische Musik zu begeistern
absolut unbestritten!
whitko hat geschrieben:- die markanten Unterschiede im Kulturverständnis zwischen einem Land der 3. Welt/Venezuela und Deutschland aufzuzeigen.
geht imho nicht in 2 sätzen oder mit 3 dummen antworten eines politikers
whitko hat geschrieben:Nicht mehr und nicht weniger.

PS: Ob eine Überbesetzung mit Bläsern reinbretzeln oder nicht, seine Orchester und seine CDs klingen einfach Klasse!!
findest du :wink:

aber wichtig ist ja wie ich finde, dass er überhaupt leute für klassik begeistern kann, das wird auch zb oft übersehen wenn man einen klavierclown wie lang-lang ins lächerliche zieht oder harsch kritisiert.

Verfasst: Di 7. Apr 2009, 01:06
von Kulturwolf
Hallo zusammen,

zunächst möchte ich mal was Grundlegendes richtigstellen: Hier wird von "El Sistema" gesprochen, welches hier Kindern in Venezuela Musikunterricht ermöglicht. Dies wurde NICHT von Dudamel geschaffen!!! Er ist vielmehr dessen am meisten bekanntes "Produkt".

"El Sistema" wurde 1975 von Jose Antonio Abreu (Musiker u. Komponist) gegründet, der damals Minister des Landes war und als solcher soziale Projekte für die Bekämpfung der Armut entwickeln sollte. Er gründete in der Hauptstadt Caracas eine Musikschule und ein Orchester, welche sich mit kostenlosem Musikunterrichtsangebot an die Kinder in den Elendsvierteln wendeten. Im Laufe der nächsten 30 Jahre entwickelte sich das heutige flächendeckende Netzwerk von wohl schon knapp 300 Einrichtungen im ganzen Land, an dem heute rund 300.000 Kinder partizipieren können. Finanziert wird das Ganze zu 90% immer noch vom Staat mit einem Jahresbudget von rund 23 Mio. Dollar.

Zu Dudamel: Man kann sicher geteilter Meinung über ihn sein, da der Medienrummel um ihn sicher einen schalen Beigeschmack hinterlassen kann.
Ich hatte im vergangenen Sommer das außerordentliche Vergnügen, Dudamel mit den Göteborger Symphonikern beim Mecklenburg-Vorpommern Musikfestival erleben zu können. Dudamel wirkte sehr authentisch auf mich. Er hatte eine sehr sympathische natürliche Bescheidenheit, dabei aber eine große musikalische Autorität, die auf einer unglaublichen Energie und Lebendigkeit fußte! Sicher, sein Dirigierstil ist ungewöhnlich, aber das entspricht offensichtlich seinem Naturell und hat auf jeden Fall zu einer musikalischen Sternstunde geführt. Das war ein Konzerterlebnis von Weltklasse! Musikalisch bis ins Detail logisch und damit natürlich (wer mal selbst Musik gemacht hat, weiß vielleicht, wie schwer genau das ist!), dabei extrem lebendig, geradezu energetisierend für den Hörer. Eine lediglich von den Medien gepuschte Figur kann soetwas nicht leisten! Ich hatte auch noch nie das Gefühl, bei etwas dabei gewesen zu sein, wo gerade (Musik-)Geschichte geschrieben wurde. Hier war das so.

Für mich war das "ganz großes Kino" (und meine Meßlatte liegt hier als beruflich in diesem Metier unterwegs Seiender sehr hoch)!!!
Wenn man noch den Hintergrund über "El Sistema" kennt, kann man hier einmal persönlich erleben, welche Kraft Musik haben kann. Davon erzählen auch die CD's/DVD's des Simon Bolivar Youth Orchestra, welches an der Spitze dieses Systems steht. Das Markenzeichen all dieser Kinder und Jugendlichen ist eine unbändige Freude beim Musizieren. Das finde ich sehr ergreifend und in dieser Beziehung kann man sich so als Durchschnittseuropäer schon mal eine Scheibe abschneiden.
Das musikalische bzw. "handwerkliche" Ergebnis ist dabei sicher nicht immer perfekt, aber dafür garantiert auch nicht langweilig. Das wäre aber mit "professionellen" Maßstäben gemessen. Denkt man daran, dass dies hier im Grunde Laienmusiker sind, muss man hier schon ein überragendes Niveau attestieren!

Also: Wer mal die Gelegenheit haben sollte, Dudamel oder das S.B.Youth-Orchestra (oder beide zusammen) sehen/hören zu können, sollte diese unbedingt nutzen! Dann kann man sich immerhin eine persönliche Meinung bilden. Ich würde tippen, die Meisten dürften ebenso beeindruckt wie ich nach Hause gehen. Und vielleicht bewirkt dieses Erlebnis in dem einen oder anderen Menschen ja auch etwas, was an der Grundidee des El Sistema anknüpft ...

Kulturwolf

Verfasst: Di 7. Apr 2009, 07:10
von whitko
Hallo kulturwolf,

Du hast mit Deinem Beitrag mein Eingangsposting wunderbar ergänzt, bzw. fachlich fundiert erweitert!

Dafür danke ich Dir!

Ich grüße Dich

whitko