Räumlichkeit bei Tonaufnahmen
Verfasst: So 21. Nov 2021, 19:48
Um diesen Thread (viewtopic.php?p=1100124#p1100124) nicht noch mehr ins Off-Topic zu führen, mache ich lieber einmal einen neuen auf.
Was wir beim Hören von Popmusik als Räumlichkeit empfinden, ist leider meist nur eine Illusion und ein Kunstprodukt des jeweiligen Tonmeisters. Bei den wenigsten Produktionen befinden sich alle Musiker zur gleichen Zeit im selben Raum (in Zeiten schnellen Internets können sich diese durchaus auch am anderen Ende der Welt befinden und dort ihre Takes einspielen).
Ein üblicher Aufnahmeraum in einem Studio ist meist eine relativ kleine Kabine, die ziemlich stark bedämpft ist, um ja keine unerwünschten Reflexionen auftreten zu lassen. Auf der einen Seite befindet sich eine Glasscheibe zum Regieraum. Üblicherweise werden Aufnahmen im sogenannten Overdub-Verfahren erstellt, d. h. man fängt mit einem Instrument an (meistens das Drumset) und fügt dann nach und nach alle anderen Instrumente hinzu. Bei jedem Take befindet sich nur ein Musiker in der Aufnahmekabine, was auch deshalb Sinn ergibt, dass bei jedem Fehler nicht das ganze Stück neu eingespielt werden muss. Die Musiker bekommen über einen geschlossenen Kopfhörer die bereits erstellten Aufnahmen vorgespielt und fügen dann ihren Part hinzu. Bei einem Rockdrumset könnten sich auch andere Musiker gar nicht im Raum befinden, da dieses meist so laut ist, dass sich die anderen selbst gar nicht mehr hören könnten. Umso mehr muss man ein Drumset auch komprimieren, damit dieses auf der Aufnahme die anderen Musiker und vor allem die Sänger nicht zudeckt. Auch Gesangsstimmen bekommen oft einen Kompressor verpasst, um Lautstärkesprünge zu nivellieren.
Der "Raum" entsteht erst beim Abmischen. Der Tonmeister versucht nun, durch die Regler am Mischpult die Instrumente und die Stimmen im "Raum" zu verteilen, d. h. durch Lautstärkeregelung wandert ein Instrument weiter nach vorne oder hinten, die Panoramaregler verteilen diese in der Breite. Wir sind es zum Beispiel gewohnt, dass ein Drumset über die ganze "Bühne" klingt (so breit ist aber auch ein großes nicht). Das funktioniert nur, wenn jeder Teil des Sets ein eigenes Mikro bekommt, das man über das Mischpult wieder entsprechend positionieren kann.
Dieser "Raum" klänge aber noch äußerst trocken. So wird dann mithilfe künstlichen Halls Räumlichkeit erzeugt. Beim Mastern lässt man das Ganze nun noch durch Brickwall-Limiter äußerst laut und komprimiert klingen (Stichwort "Loudness-War", aber das ist ein anderes Thema )
Auch wenn viele im anderen Thread mit Klassik nichts anfangen können, so wird hier noch am ehesten eine reale Räumlichkeit erzeugt, sofern diese denn auch vorhanden ist. So befindet sich in einem Konzertsaal üblicherweise ein Mikrofonpaar über dem Orchester, um den Raum selbst einzufangen. Zusätzlich wird aber meist jedem Musiker ein Nierenmikro beigestellt (oft kleine von Schoeps, die gar nicht auffallen) und der Mix wiederum am Regiepult erstellt. So entsteht dann die oft gerühmte "Tiefenstaffelung" bei Orchesteraufnahmen. Beim Hören im Konzertsaal klingt ein Orchester nämlich relativ kompakt, was viele Hifi-Hörer erstmal irritieren dürfte
Zur Klarstellung: Ich selbst bin kein Tonmeister, nur interessierter Laie (@engineer kann viel mehr zu dem Thema beisteuern). Allerdings erstelle ich Orgelaufnahmen (siehe Signatur) und habe im Zuge dessen schon einiges über Tontechnik gelernt. So verfügen Kirchen meistens über eine sehr gute Akustik, die man über geschickt positionierte Mikrofone einzufangen versucht. Dabei verwendet man Kugeln (im Gegensatz zur Niere fangen diese den Schall nicht nur von vorne, sondern rundum ein), was aber den Nachteil hat, dass sich auch sehr viele Nebengeräusche in die Aufnahme einschleichen. Und wer glaubt, dass hier lediglich zwei Mikrofone ausreichen (weil man üblicherweise ja nur zwei Lautsprecher hört), den muss ich wieder enttäuschen: Je mehr Mikrofone an verschiedenen Stellen der Kirche platziert sind, desto räumlicher und voller klingt hinterher auch die Aufnahme.
Das waren jetzt meine 2 Cents zu dem Thema. Bin gespannt auf eure Beiträge.
Was wir beim Hören von Popmusik als Räumlichkeit empfinden, ist leider meist nur eine Illusion und ein Kunstprodukt des jeweiligen Tonmeisters. Bei den wenigsten Produktionen befinden sich alle Musiker zur gleichen Zeit im selben Raum (in Zeiten schnellen Internets können sich diese durchaus auch am anderen Ende der Welt befinden und dort ihre Takes einspielen).
Ein üblicher Aufnahmeraum in einem Studio ist meist eine relativ kleine Kabine, die ziemlich stark bedämpft ist, um ja keine unerwünschten Reflexionen auftreten zu lassen. Auf der einen Seite befindet sich eine Glasscheibe zum Regieraum. Üblicherweise werden Aufnahmen im sogenannten Overdub-Verfahren erstellt, d. h. man fängt mit einem Instrument an (meistens das Drumset) und fügt dann nach und nach alle anderen Instrumente hinzu. Bei jedem Take befindet sich nur ein Musiker in der Aufnahmekabine, was auch deshalb Sinn ergibt, dass bei jedem Fehler nicht das ganze Stück neu eingespielt werden muss. Die Musiker bekommen über einen geschlossenen Kopfhörer die bereits erstellten Aufnahmen vorgespielt und fügen dann ihren Part hinzu. Bei einem Rockdrumset könnten sich auch andere Musiker gar nicht im Raum befinden, da dieses meist so laut ist, dass sich die anderen selbst gar nicht mehr hören könnten. Umso mehr muss man ein Drumset auch komprimieren, damit dieses auf der Aufnahme die anderen Musiker und vor allem die Sänger nicht zudeckt. Auch Gesangsstimmen bekommen oft einen Kompressor verpasst, um Lautstärkesprünge zu nivellieren.
Der "Raum" entsteht erst beim Abmischen. Der Tonmeister versucht nun, durch die Regler am Mischpult die Instrumente und die Stimmen im "Raum" zu verteilen, d. h. durch Lautstärkeregelung wandert ein Instrument weiter nach vorne oder hinten, die Panoramaregler verteilen diese in der Breite. Wir sind es zum Beispiel gewohnt, dass ein Drumset über die ganze "Bühne" klingt (so breit ist aber auch ein großes nicht). Das funktioniert nur, wenn jeder Teil des Sets ein eigenes Mikro bekommt, das man über das Mischpult wieder entsprechend positionieren kann.
Dieser "Raum" klänge aber noch äußerst trocken. So wird dann mithilfe künstlichen Halls Räumlichkeit erzeugt. Beim Mastern lässt man das Ganze nun noch durch Brickwall-Limiter äußerst laut und komprimiert klingen (Stichwort "Loudness-War", aber das ist ein anderes Thema )
Auch wenn viele im anderen Thread mit Klassik nichts anfangen können, so wird hier noch am ehesten eine reale Räumlichkeit erzeugt, sofern diese denn auch vorhanden ist. So befindet sich in einem Konzertsaal üblicherweise ein Mikrofonpaar über dem Orchester, um den Raum selbst einzufangen. Zusätzlich wird aber meist jedem Musiker ein Nierenmikro beigestellt (oft kleine von Schoeps, die gar nicht auffallen) und der Mix wiederum am Regiepult erstellt. So entsteht dann die oft gerühmte "Tiefenstaffelung" bei Orchesteraufnahmen. Beim Hören im Konzertsaal klingt ein Orchester nämlich relativ kompakt, was viele Hifi-Hörer erstmal irritieren dürfte
Zur Klarstellung: Ich selbst bin kein Tonmeister, nur interessierter Laie (@engineer kann viel mehr zu dem Thema beisteuern). Allerdings erstelle ich Orgelaufnahmen (siehe Signatur) und habe im Zuge dessen schon einiges über Tontechnik gelernt. So verfügen Kirchen meistens über eine sehr gute Akustik, die man über geschickt positionierte Mikrofone einzufangen versucht. Dabei verwendet man Kugeln (im Gegensatz zur Niere fangen diese den Schall nicht nur von vorne, sondern rundum ein), was aber den Nachteil hat, dass sich auch sehr viele Nebengeräusche in die Aufnahme einschleichen. Und wer glaubt, dass hier lediglich zwei Mikrofone ausreichen (weil man üblicherweise ja nur zwei Lautsprecher hört), den muss ich wieder enttäuschen: Je mehr Mikrofone an verschiedenen Stellen der Kirche platziert sind, desto räumlicher und voller klingt hinterher auch die Aufnahme.
Das waren jetzt meine 2 Cents zu dem Thema. Bin gespannt auf eure Beiträge.