mralbundy hat geschrieben:Sorry für die harten Worte, aber mich kotzt es an, dass kaum ein Radiosender das Lied dann mal spielt...
Wer "Wirsinddiebestenfahrmitunsundtuiindenurlaubpopgedudel"-SWR3 hört, ist selbst Schuld.
Vielleicht liegt es außer am Senderprofil teilweise auch daran, dass der Song bei einigen Kulturkritikern nicht besonders gut ankam, viele Radiosender ähnlicher Meinung sind und für Rammstein deshalb nicht noch mehr Werbung machen möchten. So schrieb beispielsweise die Stuttgarter Zeitung am 28.07.:
Zynischer Plan der Brachialrocker
Von Michael Werner
Einerseits muss man sich davor hüten, der Rockmusik das Provokante austreiben zu wollen, das die populärste aller Kunstgattungen antreibt, seit Elvis mit dem Becken wackelte, die Beatles das trugen, was man damals lange Haare nannte, und die Stones nach "Satisfaction" gierten. Die selbstverständliche Inanspruchnahme einer Lüsternheit, die in ihrer jeweiligen Zeit auch verstörend wirkte, hat den Weg bereitet für das, was heute in dauerberieselten Kaufhäusern und Fahrstühlen Alltag ist, und das Düstere gehörte immer dazu: Die alten, die hart rockenden Vinyl-Schallplatten konnte man rückwärts abspielen auf der Suche nach geheimen Botschaften an dunkle Mächte. Manchmal wurde man fündig. Dennoch: Marilyn Manson, beispielsweise, ist ja nicht wirklich der Teufel, sondern versucht eher krampfhaft mit viel Schminke und derben Worten musikalische Defizite auszugleichen.
Andererseits kann einen frösteln, wenn in einem Land, in dem bekannt ist, dass sich jugendliche Amokläufer mit gewaltumwaberten Horrorsongs einschließen, ehe sie schießen (Ort: Erfurt, Band: Slipknot), nun die erfolgreichste Exportband hier zu Lande ein aktuelles Verbrechen per Song und Video nicht etwa aufarbeitet, sondern mit der dem Rock ‘n‘ Roll eigenen Lüsternheit verbal herauspeitscht, grad so, als sei der vom "Kannibalen von Rotenburg“ verspeiste Penis die Lippe von Britney Spears, wenn sie auf den Mund von Madonna trifft. Das am Montag veröffentlichte Lied „Mein Teil“ markiert eine geschmacklose Grenzüberschreitung in der an Skandalen nicht armen Biografie der Potsdamer Brachialrockband Rammstein.
„Heute treff ich einen Herrn / der hat mich zum Fressen gern. / Weiche Teile und auch harte / stehen auf der Speisekarte“, so heißt es in dem überaus sauber produzierten Gitarrengroll-Song (Remix von den Pet Shop Boys), der mit Messerwetzgeräuschen beginnt, mit dem Rammstein-typischen Soundbombast wuchert und im zynischen Statement mündet: „Denn du bist, was du isst.“ - „Ekelhaft“ jaulte darob die "Bild am Sonntag“ ins gerade aufklaffende Sommerloch hinein, „Nun preist ein Rammstein-Song die Menschenfresserei“, wusste, der „Spiegel“, und schon war das Kalkül der Band aufgegangen: da ist er wieder, der verkaufsfördernde Skandal wg. Tabubruch, den ja Rammstein ebenso wenig erfunden hat wie Madonna („Like a Prayer“) und Falco ("Jeanny“). Selbst Georg Kreisler, der mit dem heute harmlos anmutenden Lied vom Taubenvergiften im Park („Frühlingslied“) anderen Wienern den makabren Weg bereitet hatte, hatte Vorbilder.
So ist es nicht die Auseinandersetzung, auch nicht etwa die ironische Auseinandersetzung mit dem Tod, auch mit Mord, die der Rammstein-Nummer ihre besondere Scheußlichkeitsqualität verleiht. Sondern es ist zweierlei: erstens die von keiner Ironie gebrochene Glorifizierung des Schreckens, die weit über Falcos verspielte Fasziniertheit hinausreicht und in der sich Distanz allenfalls auf einer insiderischen Metaebene versteckt und die sich deshalb geradezu als Bla~ipauSe für spielende oder echte Gewalttäter aufdrängt. Zweitens erschreckt das kalte Kalkül, das - untypisch für die Band - das Grauen nicht im Ungefähren wabern lässt, sondern die Identifizierung mit dem realen Verbrechen, des CD-Verkaufs wegen, billigend in Kauf nimmt und somit letztlich auch den Zynismus der Band dingfest macht. Wer nach Zensur ruft, trifft freilich auch Elvis‘ kreisendes Becken - zu viel der Wirkung für Rammstein. So hat, wie so oft, der Plattenkäufer das letzte Wort.
gereon hat geschrieben:wobei ich zugeben muss, mir mal (da muss ich ungefähr 14,15 gewesen sein) "sehnsucht" gekauft und es sogar ziemlich cool gefunden zu haben - aber auch das ist mir heutzutage nicht mehr verständlich...
Bei mir war es eher ander herum. Ich konnte bis vor kurzem mit Rammstein nicht besonders viel anfangen. Dann habe ich auf 3sat in "Kulturzeit" eine sehr wohlwollende Kritik der CD
Mein Herz Brennt - Liederzyklus nach Texten von Rammstein (Torsten Rasch) gesehen, mir diese zugelegt, dann natürlich doch neugierig auf das "Original" geworden, mir testweise die MP3s "gezogen"
und die CDs "Sehnsucht" und "Mutter" zugelegt. Besonders die Vortragsweise im deutschen Kasernenton ist wirklich provokant, die brachialgewalt der Musik finde ich aber klasse.