CD der Woche: Heinz Rudolf Kunze - Reine Nervensache
Verfasst: Fr 4. Feb 2005, 14:10
Deutschland 1981. Kalter Krieg in aller Munde. Die Russen sind böse, die Amis unsere Freunde. Noch regiert Helmut Schmidt das Land. Politiker trugen auch damals keinen Heiligenschein, aber der Niedergang der politischen Kultur wurde erst von Schmidts Nachfolger souverän in die Tat umgesetzt. Aber dieser sechszehn Jahre währende Irrtum lag noch vor uns. Noch mehr kalter Krieg. Der Nato Doppelbeschluß liegt zwei Jahre zurück, ist aber in aller Munde. Jusos und Friedensbewegung bezeichen Verteidigungsminister Apel als "Raketen-Hans". Die Mauer steht noch fest und sicher. Worte wie "Wiedervereinigung" und "Mauerfall" erscheinen grotesk, unerreichbar, nicht mehr als eine schöne Utopie.
Das Blap pubertiert vor sich hin, hört Queen und Heavy Metal, strapaziert den Lehrkörper. Die Neue Deutsche Welle kündigt sich an. Ein junger Mann namens Kunze veröffentlicht sein Debut. (Vom Rezensenten damals unbemerkt)
"Es ist eine völlig inhomogene Platte, weil ich keine Ahnung hatte, wie man mit Musikern zusammenarbeitet." So schreibt es Kunze auf seiner Website. In der Tat, der Mann hat vollkommen Recht. Was soll das sein? Rock, Pop, Liedermacher, Protestsänger? Irgendwie von allem ein wenig, oder doch nicht? Gerade dies macht den Reiz der Scheibe aus. Hier wirft uns jemand sein Material hin, es klingt frisch und unverbraucht. Teils noch naiv in Text und Komposition, teils erstaunlich altklug und ausgereift. An dieser Stelle sei auch die sehr transparente und angenehme Produktion erwähnt. Die Scheibe klingt erstklassig, obwohl es keine Remaster Version gibt.
Los geht es mit "Wir leben alle im Erdgeschoss". Wenn man Kunzes Weg weiter verfolgt, ein sehr vordergründiger Text, deutlich unterhalb seines üblichen Niveaus. Eine "Jugendsünde", aber das zuhören macht trotzdem Spass. "Für nichts und wieder nichts" ist schon ein anderes Kaliber. Zynisch und musikalisch interessant. Natürlich muss hier ein Wort wie "Atomsprengköpfe" fallen. Man muss ja zeigen wo man steht. Der "Traumtänzer" ist wiederum eine simple Komposition die von einem Sequencertakt angetrieben wird. "Mit meinem leeren Glas" hört sich an, als hätte den Text ein frustrierter Ehemann im Alter von Mitte Vierzig verfasst. Erstaunlich, böse. "Balkonfrühstück" schlägt "Liedermacher-Töne und Text" an. Gefällt mir sehr gut, schöner Kontrabaß im Stück, super! "Romanze" ist dann die dritte und letzte Jugendsünde, ein belangloses, kleines Liedchen. Verzichtbar aber verzeihbar. "Noch hab ich mich an nichts gewöhnt" begehrt gegen den Alltag auf, ein ebenfalls erstaunlicher Text für einen jungen Mann Anfang zwanzig. "Abstinenzler" rockt frech und frisch drauf los, und zeigt den Stinkefinger. Sehr gelungen.
Der ganz große Höhepunkt erwartet uns aber zum Schluß: "Bestandsaufnahme". Der Song ist mit Klavier, Akustik-Gitarre und Mundharmonika spärlich instrumentiert. Der Text ist Gift und Galle pur, einer der besten und vielleicht zutreffendsten Texte die ich kenne. Hier schlägt der "zornige, junge Mann" voll zu. Wer sich hier in manchen Strophen wiederfindet, und das wird fast jeder sein, in der Lage ist dies zu erkennen und zuzugeben, der wird auch in der Lage sein etwas an seinem Leben zu ändern.
Fazit: Ein wahrlich "inhomogenes" Album. Es gibt drei Jugendsünden zu hören, fünf wirklich sehr gelungene Songs, und ein Meisterwerk für die Ewigkeit.
Es folgten drei weitere interessante Studioalben, bevor Kunze begann mit Heiner Lüring zusammenzuarbeiten. Mit Album Nummer Fünf "Dein ist mein ganzes Herz" gab es dann den kommerziellen Durchbruch. Aber bitte macht nicht den Fehler, Kunze anhand solcher Singles zu bewerten. Der Mann hat viel mehr zu bieten...
Folgende Alben sind besonders zu empfehlen:
Eine Form von Gewalt (1982) - Sein zweites Album. Textlich gibt er hier oft den Intelllektuellen, musikalisch gibt es einiges an Elektronik zu hören.
Wunderkinder (1986) - Das Album nach dem großen Durchbruch. Eine Schaufel heisser als der Vorgänger.
Gute Unterhaltung (1989) - Auf zu neuen Ufern. Kunze wird rockiger, klingt frischer.
Brille (1991) - Setzt die Gute Unterhaltung fort. Noch frischer und frecher.
Draufgänger (1992) - Direkt noch ein Hammer. DAS Rockalbum von Kunze.
Korrekt (1999) - Nach dem sehr mauen "Alter Ego" Album, kommt hier das absolute Gegenteil. Experiementell, sehr abwechslungsreich, grandiose Texte.
Das Blap pubertiert vor sich hin, hört Queen und Heavy Metal, strapaziert den Lehrkörper. Die Neue Deutsche Welle kündigt sich an. Ein junger Mann namens Kunze veröffentlicht sein Debut. (Vom Rezensenten damals unbemerkt)
"Es ist eine völlig inhomogene Platte, weil ich keine Ahnung hatte, wie man mit Musikern zusammenarbeitet." So schreibt es Kunze auf seiner Website. In der Tat, der Mann hat vollkommen Recht. Was soll das sein? Rock, Pop, Liedermacher, Protestsänger? Irgendwie von allem ein wenig, oder doch nicht? Gerade dies macht den Reiz der Scheibe aus. Hier wirft uns jemand sein Material hin, es klingt frisch und unverbraucht. Teils noch naiv in Text und Komposition, teils erstaunlich altklug und ausgereift. An dieser Stelle sei auch die sehr transparente und angenehme Produktion erwähnt. Die Scheibe klingt erstklassig, obwohl es keine Remaster Version gibt.
Los geht es mit "Wir leben alle im Erdgeschoss". Wenn man Kunzes Weg weiter verfolgt, ein sehr vordergründiger Text, deutlich unterhalb seines üblichen Niveaus. Eine "Jugendsünde", aber das zuhören macht trotzdem Spass. "Für nichts und wieder nichts" ist schon ein anderes Kaliber. Zynisch und musikalisch interessant. Natürlich muss hier ein Wort wie "Atomsprengköpfe" fallen. Man muss ja zeigen wo man steht. Der "Traumtänzer" ist wiederum eine simple Komposition die von einem Sequencertakt angetrieben wird. "Mit meinem leeren Glas" hört sich an, als hätte den Text ein frustrierter Ehemann im Alter von Mitte Vierzig verfasst. Erstaunlich, böse. "Balkonfrühstück" schlägt "Liedermacher-Töne und Text" an. Gefällt mir sehr gut, schöner Kontrabaß im Stück, super! "Romanze" ist dann die dritte und letzte Jugendsünde, ein belangloses, kleines Liedchen. Verzichtbar aber verzeihbar. "Noch hab ich mich an nichts gewöhnt" begehrt gegen den Alltag auf, ein ebenfalls erstaunlicher Text für einen jungen Mann Anfang zwanzig. "Abstinenzler" rockt frech und frisch drauf los, und zeigt den Stinkefinger. Sehr gelungen.
Der ganz große Höhepunkt erwartet uns aber zum Schluß: "Bestandsaufnahme". Der Song ist mit Klavier, Akustik-Gitarre und Mundharmonika spärlich instrumentiert. Der Text ist Gift und Galle pur, einer der besten und vielleicht zutreffendsten Texte die ich kenne. Hier schlägt der "zornige, junge Mann" voll zu. Wer sich hier in manchen Strophen wiederfindet, und das wird fast jeder sein, in der Lage ist dies zu erkennen und zuzugeben, der wird auch in der Lage sein etwas an seinem Leben zu ändern.
Fazit: Ein wahrlich "inhomogenes" Album. Es gibt drei Jugendsünden zu hören, fünf wirklich sehr gelungene Songs, und ein Meisterwerk für die Ewigkeit.
Es folgten drei weitere interessante Studioalben, bevor Kunze begann mit Heiner Lüring zusammenzuarbeiten. Mit Album Nummer Fünf "Dein ist mein ganzes Herz" gab es dann den kommerziellen Durchbruch. Aber bitte macht nicht den Fehler, Kunze anhand solcher Singles zu bewerten. Der Mann hat viel mehr zu bieten...
Folgende Alben sind besonders zu empfehlen:
Eine Form von Gewalt (1982) - Sein zweites Album. Textlich gibt er hier oft den Intelllektuellen, musikalisch gibt es einiges an Elektronik zu hören.
Wunderkinder (1986) - Das Album nach dem großen Durchbruch. Eine Schaufel heisser als der Vorgänger.
Gute Unterhaltung (1989) - Auf zu neuen Ufern. Kunze wird rockiger, klingt frischer.
Brille (1991) - Setzt die Gute Unterhaltung fort. Noch frischer und frecher.
Draufgänger (1992) - Direkt noch ein Hammer. DAS Rockalbum von Kunze.
Korrekt (1999) - Nach dem sehr mauen "Alter Ego" Album, kommt hier das absolute Gegenteil. Experiementell, sehr abwechslungsreich, grandiose Texte.