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Béla Bartók: Bluebeards Castle

Verfasst: Mi 23. Feb 2005, 16:15
von Der Pabst
Béla Bartók – Bluebeard’s Castle
Budapest Festival Orchestra conducted by Ivan Fischer
Herzog Blaubart: Laszló Polgár / Judit Ildikó Komlósi

„Stereoplay“ schreibt:

Blaubart – die Bombe
Zum Finale der größte bislang (und jemals) konservierte Dynamikschub: Herzog Blaubart öffnet in seinem Schloss die Türen seiner Seele. Bei der fünften Tür zeigt er seine geheimen Schätze – Béla Bartók greift zu einem Choral der Ekstase, mit zweitem Orchester und im größten Forte. Ivan Fischer hat den Eintakter kürzlich für die Decca eingespielt, auf SACD. Die Tontechniker entfachen dazu einen 5.1-Dynamiksprung auf 110 Dezibel. Wenn es die Kette aushält, wenn es die Nachbarn aushalten. Ein musikimmanenter Effekt, keine Show, kein Heimkinobombast – Bartók wollte es so, die Oper braucht diesen Moment. Nur sitzend zu genießen, nichts für Menschen mit Herzproblemen. Und nichts für magere Verstärker mit nervöser Schutzschaltung.


Dazu sage ich nur – ähm – gar nix mehr. Bin immer noch beeindruckt.


Kurze Handlungsübersicht der einaktigen Oper (das Booklet hat geholfen):
Judit hat trotz Warnungen den Herzog Blaubart geheiratet und folgt ihm in sein Schloss. Sie betreten eine düstere Halle mit sieben verschlossenen Türen, die siebte an der Seite. Alles sehr beklemmend. Judit will unbedingt die Türen öffnen, weil sie ihn liebt. Blaubart zögert, gibt ihr aber doch den Schlüssel. Um jeden weiteren muss sie ihn eindringend bitten, da Blaubart sich vehement weigert.... alles weitere steht unten...
Beachte dabei, dass sich die beschriebene Handlung EXAKT SO in der Musik wiederspiegelt, es wird also genau beschrieben, wie das Orchester spielt (wenn dann solche Worte stehen wie „eindringlich“ oder „Waffenkammer“!!!!!


Prolog (1:30 min)
Ein einsamer Sprecher aus dem Center-Lautsprecher. Hoppla, was ist denn das für eine Sprache? Aha – wahrscheinlich ungarisch. Vorerst Ernüchterung – schlussendlich Freude, da Original. Wo sind die Instrumente? Keine.

Eröffnungsszene (12:37 min)
Eine dunkle Halle, solide Mauern. Blaubart und Judit erscheinen.
Streicher. Erster Gedanke, sehr gut, so kann nur eine SACD klingen, der Unterschied zu einer normalen CD ist für mich offensichtlich. Glasklarer sauberer Klang und obwohl nur mezzopiano wird sofort die große Dynamik klar. Ein Bass setzt ein: Herzog Blaubart. Bei der Handlungsgeschichte helfe ich mir mit dem Booklet aus, da ungarisch gesungen wird und ich dringend eine englische Übersetzung brauche. Judit ist anscheinend ein Sopran, wenn mich mein Ohr nicht ganz täuscht.
Judit bemerkt die Dunkelheit und Beklemmtheit im Schloss. Sie hat Angst, gesteht ihm ihre Liebe und bittet ihn um den ersten Schlüssel.
Die Musik ist dementsprechend. Wirklich jeder Satz extremst emotional unterstrichen. Stellen in pp sowie plötzliche Ausbrüche ins ff (Pauke klingt hervorragend zupackend), dann gleich wieder piano. Orchestrierung ist schwer zu beschreiben, sehr groß mit vielen Instrumenten. Ganz eigener Charakter, düster.

Tür 1 (4:02 min)
Streicher vibrato EIN Ton (40 sec), aber hallo! Im Orchester ein ganz ganz seltenes Tastenxylophon! Tierische Spannung!!!
Die Tür geht auf, Licht fällt in die Halle. Es öffnet sich die Folterkammer. Judit entdeckt Blut.
Sehr emotional!
Judit bittet ihn eindringlich um den zweiten Schlüssel.

Tür 2 (3:56 min)
Streicher mp, Blechbläser im Hintergrund. Dann zupackend, wieder ruhig.
Es öffnet sich die Waffenkammer, die Halle wird heller. Sie versucht ihn mit schönen Worten herumzukriegen, die anderen Schlüssel herauszugeben. Sie bekommt 3 Stück..

Tür 3 (2:10 min)
Ein glänzend, strahlendes Licht fällt in den Raum, es ist die Schatzkammer.
Wieder mit Xylophon.

Tür 4 (4:33 min)
Harfe. Posaune piano. Geheimnisvoller und heimlich verlockender Charakter.
Die Tür zum geheimen Schlossgarten wird geöffnet. Judit freut sich über das Licht und die Blumen. Blaubart hingegen wird immer mahnender, er bittet sie keine Fragen zu stellen.
Orchester wird immer emotionaler, lauter und hektischer. Nach 3:30 Minuten extrem aufbrausend. Ab 4 Minuten wird das Orchester noch sehr viel lauter und extremst emotional. Eindeutig bisher lauteste Stelle in fff !!! Ich denke: „Hoppla, was ist denn da los? Vielleicht sollte ich etwas leiser machen, es ist doch extremst laut!!!! Ach was, diese ff-Passagen sind nach 10 Sekunden sowieso immer vorbei...“ Folge dieser Kurzschlusshandlung:

Tür 5 (5:56 min)
ARGHHHHHHH!!!!! Urplötzlich DOPPELTE LAUTSTÄRKE!!!!! Vollaussteuerung alle Lautsprecher!!!! Wahnsinn!!! Ich stehe (fast) unter Schock!!! EIN ellenlanger gehaltener Ton TUTTI gespielt von ZWEI Orchestern!!!! Derweilen wäge ich mich in allertiefster Zufriedenheit!!!!
Keine 10 Sekunden später stand Matthias in der Tür und meinte: „Kannst du leiser machen, es ist doch etwas arg laut da drüben...!?“ Ich meinte nur: „Ja - ich glaube, ich habe die Stelle gefunden!“
So - zurück zum Thema:
Die fünfte Tür öffnet sich. Ein gleißendes Licht wird in den Raum geworfen. Es eröffnet sich ein weites herrliches Land, das Reich von Herzog Blaubart. Judit bittet ihn erst flehend, dann verärgert um den Schlüssel für die sechste Tür. Blaubart ermahnt sie, diese müssten für ewig verschlossen bleiben, aber sie überflügelt ihn.

Tür 6 (11:57 min)
Beklemmend und gefahrvoller Klang.
Die Tür öffnet sich. Plötzlich fällt ein Schatten herein und wirft einen düsteren Hauch in die Halle. Es zeigt sich ein See aus Tränen. Judit bittet um den letzten Schlüssel, wirft ihm vor, dass er sie nicht lieben würde. Er weigert sich strikt, sie solle keine Fragen stellen. Sie fragt nach seinen früheren Frauen. Es stellt sich heraus, diese sollen hinter der siebten Tür sein Nach endlosem hin und her öffnet Blaubart seine Hand, in der er den letzten Schlüssel hält. Sie zögert, nimmt ihn aber doch.
Unglaublich emotional!!! Teils Blechbläser und Pauken wieder in fff. Sehr ruhige mahnende Passage als Judit zögert.

Tür 7 (8:37 min)
Die Halle wird viel dunkler. Aus der siebten Türe erhellt nur noch ein glänzender Mondschein das Gemäuer, das mit Blut verschmiert ist. Blaubarts frühere drei Frauen treten aus dem Raum. Sie tragen Kronen auf ihren Köpfen, Blaubart kniet nieder. Judit versucht sich in die Reihe der 3 Frauen einzugliedern, doch es gelingt ihr nicht. Blaubart erzählt kurz zu jeder Dame etwas, eine habe er bei Sonnenaufgang, eine zu Mittag und eine bei Sonnenuntergang kennen gelernt. Eine nach der anderen verschwindet wieder in den Raum. Blaubart und Judit starren sich an. Blaubart geht zur dritten Tür, der Schatzkammer, und holt Krone und Juwelen. Er setzt sie Judit auf mit den Worten, dies sei die Diamantenkrone und sie sei die Königin all seiner Frauen. Judit geht mit gesenktem Kopf den anderen Frauen hinterher in den Mondschein. Die Tür schließt sich hinter ihr, und Blaubart verschwindet einsam in seinem Schloss. Alles liegt vollkommen im Dunkeln.


Aufnahme
SACD – ÜBERRAGEND – mehr fällt mir dazu nicht ein.

Teils EXTREMSTE Dynamik!!!!
In Wirklichkeit keine 5.1-Aufnahme, wie „Stereoplay „schrieb, sondern „nur“ 5.0, sprich ohne Subwoofer, also Front left, Center, Front right, Rear right, Rear left. Schöner Mehrkanalsound, aber natürlich kommen die eigentlichen Möglichkeiten von Mehrkanal bei Klassik zur Geltung, nämlich Effekte, v.a. Kreiselbewegungen um die Hörposition. Aber mit 5 Lautsprechern klingt’s halt doch etwas anders als mit zweien.


FAZIT
Aufnahmetechnisch ist die Stereospur schon echt genial, eben typischer SACD-Klang, da hört man doch einen Unterschied zur CD!! Die Mehrkanalabmischung bringt die Emotionen noch etwas packender herüber. Das Orchester ist nicht so räumlich, wie bei Shostakovich. Es tut sich eben nicht zu 100% eine echte Bühne auf, so dass man das Orchester direkt vor sich wähnt. Die zwei Solisten machen einen echt guten Job, stehen eindeutig hörbar vor dem Orchester, also immer sehr gut hörbar, auch bei den lauten Stellen. Und niemals ist die Sopranistin so, dass man sich die Ohren vor Schmerz zuhalten müsste obwohl sie ff singt, was mich ja schon mal sehr freut. Ich vermute mal: das liegt an der SACD. Auch die ungarische Sprache hat einen ganz eigenen Klangcharakter (eher düster), der wirklich hervorragend zu dem Werk passt!
Um noch mal auf die Dynamik zurückzukommen. Klar, ich kann auch eine normale CD ins Extremste aufdrehen, dann habe ich auch diese Lautstärke. Aber: so eine Stelle in ein klassisches Werk, oder sonst irgendwo einzubauen, ist schon einfach eine geniale kompositorische Meisterleistung. Unglaublich beeindruckend!!
Vom Klangpanorama an dieser Stelle am ehesten zu vergleichen mit Dvoraks – „Die Neue Welt“ Sinfonie 4.Satz. Mehr sage ich dazu nicht, wen es interessiert, der soll sich bei mir melden!!!
An Emotionalität lässt es dieses Werk wirklich in keiner Sekunde fehlen!
Die erzählte Geschichte gefällt mir persönlich sehr gut!!! Die Musik (Bartók) ist da schon eher Geschmackssache, doch auch die trifft meinen Nerv ganz gut und gefällt mir jedes Mal besser! Kein Werk um sich nebenbei mal anzuhören, man sollte möglichst immer im Booklet den Text mitlesen, ansonsten ist es eben schwierig die Musik zu verfolgen. Es ist schließlich eine Oper, aber was für eine!



Grüsse
Kai

Verfasst: Do 24. Feb 2005, 10:18
von Markus
Hi Kai, :D

vielen Dank für den tollen Bericht. Wenn ich die SACD noch nicht hätte (und davon ebenso begeistert wäre wie Du), würde ich mir diese nun auf jeden Fall ordern. Deine Rezension der Schostakowitsch-Sinfonie hört sich ebenfall sehr interessant an, werde mir auch diese "Platte" mal zu Gemüte führen.

Mach weiter so, ich bin stets an Neuentdeckungen, die sowohl musikalisch als auch aufnahmetechnisch hochwertig sind, interessiert. Wenn ich zeitlich mal ein wenig mehr Freiraum habe, durchstöbere ich meine Sammlung auch mal nach vergleichbaren SACDs, vielleicht kommt ja auch mal so ein toller Beitrag zustande wie Deiner.

Gruß,

Markus.

Verfasst: Do 24. Feb 2005, 11:08
von Der Pabst
Hi Markus!

Vielen Dank für die Blumen! :D
Ich werde mich auf jeden Fall bemühen, weiterhin solche Berichte zu schreiben, sollte sich mir wieder solch eine interessante Entdeckung auftun.

Da bin ich ja mal tierisch gespannt, was deine "Sammlung" noch so alles hergibt. :wink:


Grüsse
Kai