Hallo chipmunk,
so, nun folgt der Bericht in Langform.
Der Abend begann mit einer Verspätung, da mein Bruder und damit auch die Karten erst zwanzig Minuten nach Beginn des Konzertabends am hr-Sendesaal eintrudelte. Da wir den Konzertsaal nur während des Pausengeklatsches betreten durften, genehmigten wir uns erst noch ein schnelles Pils und schlichen uns dann mit einigen anderen zu spät gekommenen auf unsere Plätze und lauschten der letzten halben Stunde von
Heinz Sauer und Michael Wollny (Saxophon und Klavier), an diesem Abend ergänzt durch das Radio String Quartet Vienna. Und damit wären wir auch schon beim ersten Begriff, der meine Gemütszustände während des Abends treffend beschreibt: interessiert.
Ich kannte Wollny und Sauer vor diesem Abend nur dem Namen nach. Was die beiden auf der Bühne zusammen improvisierten, war wirklich super. Eine zwar ungewohnte Instrumenten-Kombination, aber echt gut. Wollny ist teilweise wortwörtlich ins Klavier gekrochen um dort die Saiten mit der Hand zu bearbeiten. Und Sauer hat sehr vital gespielt für seine 75 Jahre.
Bei einigen Stücken wurden die beiden von den vier Streichern begleitet. Diese Stücke fand ich eher uninteressant, wahrscheinlich, weil ich Streicher mit Klassik assoziiere und nicht mit Jazz. Ein-, zweimal haben die Streicher solo rumgefrickelt: Nennt mich Kretin, aber so sollten höchstens gequälte Katzen klingen, keine Streichinstrumente...
Nach dem insgesamt einstündigen Auftritt kam der 75-jährige Sauer noch einmal kurz auf die Bühne, bedankte sich beim Publikum, machte ein wenig Werbung für die Solo-CD seines Kompagnons Wollny und erläuterte dem Publikum, dass man sich überhaupt nicht auf diesen Abend vorbereitet habe. Man habe tatsächlich lediglich auf die gezeigten Bilder - die während des Festivals auf insgesamt drei Leinwänden gezeigt wurden und das Motte des Festivals "What you see is what you hear" verkörperten - und das Spiel der anderen Musiker reagiert. Dafür gab es einen Extra-Applaus.
Nach einer 30-minütigen Pause ging es weiter mit den drei Herren von
Tyft. Die Isländer traten in der Besetzung Saxophon, Schlagzeug, Gitarre und 'nem Apple auf. Bereits nach wenigen Sekunden war ich: schockiert. Die Musik war laut, schrill, laut, punkig, laut und übrigens laut. Eine Mischung aus heftigem Punk, wie er
nicht im Radio gespielt wird, kombiniert mit elektronischen Spielereien und einem Saxophonisten, der während des 70-minütigen Konzerts durchschnittlich geschätzte 200 Töne pro Minute ins Publikum geblasen hat. Ich fand's seltsam und war überrascht, dass während dieser Terrorattacke fast niemand der zumeist graumelierten Besucher den Saal verließ.
Das änderte sich allerdings während des Auftritts des US-amerikanischen Saxophonisten
Jon Hassell, der seinen eigenen Video-Künstler mitbrachte. Dieser warf sehr interessante Installationen auf die Leinwände, die (nicht nur) aus meiner Sicht eines von insgesamt zwei Highlights des Auftritts waren. Das andere Highlight war der Bassist der Gruppe, der als einziger etwas Bewegung auf die Bühne brachte. Die anderen beiden saßen auf Stühlen und Hassell kehrte dem Publikum über weite Strecken sogar den Rücken zu und lauschte, den Kopf gebeugt, offenbar konzentriert der eigenen Musik...
Jedenfalls: Hassell und seine Mitspieler sedierten das Publikum mit einer einstündigen Suite, gegen deren Spannungsverlauf ein mit dem Lineal gezogener Strich die reinste Achterbahnfahrt der Gefühle darstellt. Unablässig untermalt von eintönigem Synthiegewaber tupfte Hassel alle paar Minuten ein paar gehauchte Töne in sein Instrument, die er per Apple auch noch bearbeitete.
Nach rund vierzig Minuten verließen die ersten Zuhörer den Saal. Am Ende der Show (zwanzig Minuten später) war noch etwa die Hälfte der zuvor vollbesetzten schätzungsweise 1000 Plätze belegt...
Das es nicht nur in Internetforen Trolle gibt, zeigte sich an einem Herren, der es sich nicht verkneifen konnte, nach rund 50 Minuten ein lautes "Go go go" in Richtung Bühne zu brüllen.
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So viel zu einem, mmh, insgesamt interessanten Abend.
Viele Grüße und eine gute Nacht,
Markus