@ pinglord:
Gruppenlaufzeit ist anschaulich gesprochen die Zeit, die ein Frequenzbereich gegenüber einem anderen Frequenzbereich verzögert wird.
Schau Dir bitte folgendes Diagramm an:
http://www.klein-hummel.de/produkte/o40 ... 00-del.jpg
Wie man sieht, werden die tiefen Frequenzen gegen hohe Frequenzen verzögert abgestrahlt, ein 50Hz-Ton kommt 20ms nach dem 10KHz-Ton aus dem Lautsprecher.
Woran liegt das? Jedes Filter (elektrisch, d.h. Frequenzweiche oder akustisch, d.h. z.B. Gehäuseabstimmung) dreht zwangsläufig die akustische Phase (Phasenfrequenzgang und Amplitudenfrequenzgang stehen in einem starren Zusammenhang zueinander gemäß der einfachen Signaltheorie).
Ein Filter 4. Ordnung (24dB/Oktave) dreht die Phase um 360°, ein Filter 2. Ordnung (12dB/Oktave) um 180°, ein Filter 1. Ordnung (6dB/Oktave) um 90° usw.
Jetzt werfen wir nochmal einen Blick auf das Diagramm. Der Lautsprecher hat bei 3,5Khz ein Filter 4. Ordnung (einen Hochpaß 4. Ordnung für den Hochtöner und einen Tiefpaß 4. Ordnung für den Mitteltöner), diese drehen die Phase jeweils um 360°. Sie haben dieselbe Eckfrequenz (3,5kHz) und verursachen daher die gleiche Laufzeitverzögerung, weshalb sich die Amplitude der beiden Wege perfekt addiert.
3,5kHz sind 3500 Schwingungen pro Sekunde, 360° entsprechen einer ganzen Schwingung, also beträgt die Gruppenlaufzeitverzerrung 1/3500 Sekunden. Dies sind 0,28ms und ist im Diagramm um 3,5KHz gerade eben sichtbar.
Das zweite Filter liegt bei 450Hz, genau wie oben ein Hochpaß und ein Tiefpaß 4. Ordnung für Mitteltöner und Tieftöner. Wiederum 360° Phasendrehung, da 4. Ordnung. 450Hz sind 450 Schwingungen pro Sekunden, die Gruppenlaufzeitverzögerung beträgt also 1/450 Sekunde, das sind 2,2ms. Diese 2,2ms sind im Diagramm gut zu sehen.
Das dritte Filter liegt bei 45Hz, ein Hochpaß 4. Ordnung, also wieder 360° Phasendrehung. 45Hz sind 45 Schwingungen pro Sekunde, die Gruppenlaufzeitverzögerung beträgt also 1/45 Sekunden entsprechend 22ms. Das ist auch im Diagramm sichtbar.
Kurze Erläuterung:
Hochpaß: Läßt hohe Frequenzen passieren, senkt also den Amplitudenfrequenzgang unterhalb der Eckfrequenz ab.
Tiefpaß: Läßt tiefe Frequenzen passieren, senkt also den Amplitudenfrequenzgang oberhalb der Eckfrequenz ab.
Mathematisch gesprochen ist die Gruppenlaufzeit die Integration des Phasenfrequenzganges über die Zeit.
Zur Hörbarkeit: Das Gehör ist weitgehend phasentaub, sofern keine extremen Phasendrehungen in einer Frequenzgruppe vorliegen, wie sie z.B. bei Filtern 8. (48dB/Oktave) oder höherer Ordnung auftreten (die nicht gebräuchlich sind).
Jedoch sind die Gruppenlaufzeitverzerrungen im Baß hörbar, da sie extrem groß sind. Man muß hierbei auch die gegenseitige Verdeckung von Grund- und Obertönen berücksichtigen, die dann eine andere ist, wenn das tieffrequente bumm der großen Trommel 20ms nach dem höherfrequenten Anschlaggeräusch kommt
Digital lassen sich die hohen Frequenzen entsprechend verzögern, so daß der gesamte Frequenzbereich mit derselben Laufzeit abgestrahlt wird. Der Lautsprecher ist dann einfach insgesamt etwas gegen das Eingangssignal verzögert (Grundlaufzeit).
Aus diesem Grunde neige ich bei nicht digital kompensierten Systemen zu Lautsprechern, die im Tieftonbereich wenige Filter aufweisen und Filter geringer Ordnung.
Nochmal an folgendem Beispiel erläutert: Wir vergleichen
a.) geschlossenes Dreiwegesystem mit einer Eckfrequenz von 40Hz (2. Ordnung) und 500Hz (4. Ordnung) für den Tieftöner.
b.) Bassreflex-Dreiwegesystem mit einer Eckfrequenz von 40Hz und 500Hz für den Tieftöner
c.) Zweiwegesystem mit Subwoofer mit einer Trennfrequenz von 100Hz und 2,5kHz und einer Eckfrequenz des Subwoofers von 40Hz
Das geschlossene Gehäuse ist bei konventioneller Auslegung ein akustisches Filter 2. Ordnung (Amplitudenfrequenzgang fällt unterhalb der Eckfrequenz mit 12dB/Oktave), während das Bassreflexgehäuse ein akustisches Filter 4. Ordnung darstellt (Amplitudenfrequenzgang fällt unterhalb der Eckfrequenz mit 24dB/Oktave). Die Gruppenlaufzeit aufgrund des Filters zwischen Mitteltöner und Hochtöner vernachlässigen wir, da diese ohnehin sehr gering ist.
Wir erhalten für
a.) 2ms Verzögerung für das Filter 4. Ordnung bei 500Hz, sowie 12,5 ms Verzögerung für das Filter 2. Ordnung bei 40Hz, macht zusammen 14,5 ms Signalverzögerung bei 40Hz.
b.) 2ms bei 500Hz wie oben, sowie 25ms für das Filter 4. Ordnung bei 40Hz, macht zusammen 27ms.
c.) 10ms Verzögerung für das Filter 4. Ordnung bei 100Hz, sowie 25ms für das Filter 4. Ordnung bei 40Hz, macht zusammen 35ms.
Alle Systeme haben denselben Amplitudenfrequenzgang, aber ein 40Hz-Ton kommt bei a.) nur um 14,5ms verzögert aus dem System, während sich c.) dafür 35ms Zeit läßt.
Die Hörschwelle der Gruppenlaufzeitverzögerung im Tieftonbereich liegt je nach Programm-Material um 5ms (Angaben stammen von Herrn G. Steinke, VDT), will man von der Gruppenlaufzeit bis 40Hz unter der Hörschwelle bleiben, ist daher ein geschlossenes Dreiwegesystem mit ausreichend hoher Trennfrequenz low-mid und wenigstens 30Hz unterer Eckfrequenz vonnöten, sofern keine digitale Laufzeitentzerrung vorgenommen wird.
viele Grüße
AH