BD von Raro Video (USA)
Murder Obsession (Italien, Frankreich 1981, Originaltitel: Follia omicida)
Anita, Laura & Silvia - Gipfeltreffen der Eurokult-Halbgöttinnen (Aktualisierter Kurzkommentar)
Michael (Stefano Patrizi) verdient seine Brötchen als Filmschauspieler. Nach langer Zeit besucht er seine Mutter (Anita Strindberg), die ein großzügiges Anwesen auf dem Lande bewohnt, dort von ihrem Hausdiener Oliver (John Richardson) umsorgt wird. Michael verbindet ein merkwürdiges Verhältnis mit seinem Muttertier, er stellt die mitgereiste Debora (Silvia Dionisio) lediglich als eine Mitarbeiterin vor, obwohl die junge Dame mit ihm Tisch und Bett teilt. Wenig später tauchen weitere Kollegen des Schauspielers auf, darunter eine attraktive Kollegin (Laura Gemser) und der Regisseur Hans (Henri Garcin). Niemand ahnt etwas von den schrecklichen Vorfällen, welche sich vor vielen Jahren in Michaels Kindheit zutrugen. Eine fürchterliche Bluttat prägt noch immer die Psyche des jungen Mannes, der im Knabenalter seinen eigenen Vater mit einem Messer erstach. Debora wird von Albträumen heimgesucht, erfährt von Michaels Mutter mehr über die finstere Vergangenheit ihres Lebensgefährten. Bizarre Morde brechen über die Besuchergruppe herein, die Grenze zwischen Fiktion und Realität beginnt zu verschwimmen. Wer steckt hinter den Gewaltexzessen? Wurde Michael von seinem Kindheitstrauma übermannt? Oder hat der geheimnisvolle, verschrobene Oliver seine Finger in diesem blutigen Spiel...???
Bereits 1946 inszenierte Riccardo Freda seinen ersten Spielfilm. Bis 1969 entstand der größte Teil seines Schaffens, seine Beiträge aus den siebziger Jahren haben sich trotzdem nachhaltiger in meinem Gedächtnis eingeprägt. 1969 fügte er dem
"Edgar Wallace Universum" mit
"Das Gesicht im Dunkeln" ein interessantes Werk zu, Klaus Kinski durfte dort seine Qualitäten als Hauptdarsteller beweisen, Wallace-Fans bewerten den Film sehr unterschiedlich
(ich mag den Streifen, was sicher nicht überraschend anmutet). 1971 kam Freda mit dem unterhaltsamen Giallo
"Die Bestie mit dem feurigen Atem" (L'iguana dalla lingua di fuoco) aus der Kiste, 1972 gab es den herrlichen Grusler
"Tragic Ceremony" (Estratto dagli archivi segreti della polizia di una capitale europea) zu bestaunen. Dies soll als kurzer Blick auf Fredas Filmographie genügen, ich wende mich nun
"Murder Obsession" zu.
Die letzte Regiearbeit Fredas kommt mit einer ordentlichen Dosis Gothic-Horror daher, wirft gialloeske Elemente in die Waagschalen des Blutes, kann mit einem sehr beachtenswerten, bemerkenswerten Ensemble auftrumpfen. Ich nutze gern Worte wie
"Atmosphärenschmeichler" und
"knuffig", auf diesen Film treffen sie in ganz besonderem Maße zu. Die Schauplätze machen keine Gefangenen, ein altes, großes und vor allem unheimliches Gemäuer, in dem ständig der Strom
"ausfällt", Kerzen versuchen der Dunkelheit flackernd Paroli zu bieten. Flucht ausgeschlossen, selbstverständlich wird das Anwesen von einem Wald umschlossen, Schauplatz
"feucht-glibbriger" und
"nass-roter" Vorfälle. Seinen sinnlichen Höhepunkt erlebt der Flick während einer grotesken Traumsequenz, in der Silvia Dionisio auf eine gigantische Gummispinne trifft, Fledermäuse an Fäden durch das gruftige Ambiente schwirren, Blut aus Totenschädeln quillt. Klar, da geht mir das Herz auf, da kennt die
Knuffigkeit keine Grenzen! Freda geht sogar einen Schritt weiter, er gönnt dem freudig erregten Zuschauer ein paar Blicke auf Frau Dionisios wohlgeformte Möpse. Ich bin im Himmel, einen schöneren Albdruck kann es nicht geben! Manch übler Nörgelbruder wird sich über die eigenwillige Spinne beschweren, doch was kümmert es mich, ich liebe solchen Unfug. Überwiegend fühlt sich das liebenswerte Treiben angenehm altmodisch an, scheint eher aus den späten Sechzigern/frühen Siebzigern zu stammen. Zwei, drei wüste Metzeleien sind offenbar dem Zeitgeist der frühen achtziger Jahre geschuldet, doch ausgerechnet diese kleinen Einlagen sind handwerklich katastrophal ausgeführt. Gehen die
"anderen gezeigten Seltsamkeiten" als bewusstseinserweiternd durch, klatscht uns das Mettgut als purer Obertrash frontal in die Fresse. Fürs Phrasenschwein:
"Weniger ist manchmal mehr". Mir haben diese Aussetzer keinesfalls den Spass geraubt, sie nagen an der Atmosphäre, richten aber letztlich keinen nennenswerten Schaden an. Bei Freda gehen Meisterschaft und Versagen ab und an Hand in Hand, was seine Filme noch tiefer und inniger in meinem Herzen verankert
(Nachtrag: Versagen kann man Freda nicht anlasten, die FX-Menschen tragen die Verantwortung. Mich stören diese Einschübe auch nach erneuter Sichtung nicht, sie verleihen dem Werk einen dezent "theaterhaften" Anstrich).
Den Damen gewähre ich gern den Vortritt, auf geht es! Silvia Dionisio ist immer einen Blick wert, spätestens seit
"Horror-Sex im Nachtexpress" (La ragazza del vagone letto, 1979) hat sie einem Platz auf meinem Altar sicher. Die Rolle der Debora ist ein harter Job, Silvia besteht die Prüfung mit ihrem natürlichen Sexappeal, dem ich mich zu keiner Sekunde entziehen kann
(warum sollte ich auch?). Laura Gemser verkörperte in etlichen Sausen die legendäre
"Black Emanuelle", wälzte sich in zahlreichen Erotikstreifen im heissen Sand und auf bebenden Matratzen. Ganz ohne Nummer kommt sie auch unter Freda
(unter Freda, huhu) nicht aus, wandelt aber überwiegend auf züchtigen Pfaden. Laura in einer
(fast) etwas anderen Rolle, sehr angenehm.
(Fast) noch bemerkenswerter ist das Wiedersehen mit der Schwedin Anita Strindberg, die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre in erstklassigen Gialli mitwirkte, zu den weiblichen Stars des Genres zählte. Titel wie
"Der Schwanz des Skorpions" (La coda dello scorpione, 1971) und
"The Child - Die Stadt wird zum Alptraum" (Chi l'ha vista morire, 1972) sprechen für sich. Strindberg präsentiert sich deutlich gereift, ihre Darbietung geht weit über das nette Blondchen hinaus. Ihrem Filmsohn kommt sie unangemessen nahe, eine rätselhafte Aura umgibt die Hausherrin, was steckt hinter der edlen Fassade? Martine Brochard will ich nicht unterschlagen, sie geht im Vergleich zum
"Mega-Trio" fast ein wenig unter, dient als positiv zu bewertende Ergänzung. Frauenpower der Oberklasse, kein leichtes Spiel für die Männlein. Stefano Patrizi spielt den grossen, verwirrten und unsicheren Jungen gelungen, sein eher unscheinbares Äußeres erweist sich dabei als hilfreich. Henri Garcin gibt den
"Ergänzer" im Männerteam, John Richardson fällt die interessanteste Rolle zu. Sein Oliver ist ein seltsamer Kerl, der nicht nur den anwesenden Damen eine Gänsehaut verpasst. Zusammenfassend: Eine starke Truppe! Wo bekommt man schon Silvia Dionisio, Laura Gemser und Anita Strindberg in einem Film zu sehen?
"Murder Obsession" ist
(mal wieder) einer dieser Filme ... Eine dieser Super-Sausen, ein Streifen der mein Herz im Sturm erobert. Freda leistet sich hier und da ein paar Schnitzer, die Effektmenschen greifen teilweise tief ins Schüsselchen. Na und??? Warum sollte ich diesem
Atmosphärenhammer-Knuffelchen in die Wade beißen, es gibt keinen verdammten Grund dafür! Groteskes Ungetüm, saftiges Obst, Abgründe des Grauens. Riccardo Freda setzt seiner letzten Regiearbeit mit einem tiefschwarzen Ende die Krone auf, danke dafür!
Die obigen Zeilen entstanden im November des vergangenen Jahres, damals nach Sichtung der DVD aus Italien. Vor allem im Nischenbereich hat die DVD noch längst nicht ausgedient, viele Titel erscheinen nach wie vor nicht auf BD, kleine Label legen teils erstklassige DVD-Auswertungen vor. Über die alte Ausgabe von
"Murder Obsession" lässt sich leider wenig Gutes sagen, um die BD ist es glücklichweise weitaus besser bestellt! Endlich lässt sich Riccardo Fredas letzte Regiearbeit in angemessener Verfassung geniessen! Ferner bietet die Blu-ray zwei unterschiedliche Versionen an, die längere Fassung aus Italien
(im O-Ton mit englischen Untertiteln) und eine etwas kürzere Version in englischer Sprache. Auch der Bonusbereich hat eine Aufwertung erfahren, mehr Interviews und ein Booklet liegt ebenfalls wieder bei. Klarer Pflichtkauf, meine DVD freut sich sehr über ihre blaue Schwester. Tipp: Beschafft euch zusätzlich Fredas
"Tragic Ceremony", geniesst während einer lauschigen Herbstnacht ein herrliches Double Feature!
Es bleibt bei sehr dicken 7,5/10 (gut bis sehr gut), bei der nächsten Sichtung sind vermutlich 8/10 fällig!
Lieblingszitat:
"Your Mother is a Monster of evil" (Welch infame Unterstellung!)
***
Ferner im Player:
• Ironclad (Großbritannien, USA 2011) - Eine kleine Gruppe Rittersleut muss um jeden Preis eine Burg halten, die zahlenmäßig weit überlegene Gegnerschaft benötigt einen langen Atem.
Als Aufhänger dient die Magna Carta, doch
"Ironclad" will keinen Geschichtsunterricht bieten. James Purefoy hinterlässt als unbeugsamer Templer einen ordentlichen Eindruck, Brian Cox gefällt als kerniger Widersacher des irren Paul Giamatti
(sehr stark). Hier geht es blutig und räudig zur Sache, ruppige Unterhaltung mit diversen Verschnaufpausen. Insgesamt durchaus stimmungsvoll in Szene gesetzt und sehr ansprechend auf BD präsentiert.
Zunächst 6,5/10
(da geht noch was)
• Meltdown - Wenn die Erde verbrennt (USA 2006) - Casper Van Dien und andere Gestalten stolpern durch ein Katastrophenszenario. TV-Produktion hin oder her, dieses Filmchen macht in erster Linie durch Versagen an allen Fronten auf sich aufmerksam.
Fast entwickelt
"Meltdown" trashige Qualität, vielleicht wage ich in ein paar Jahren die Zweitsichtung. An der DVD gibt es nichts zu meckern.
Knappe 4/10
(einige Lacher retten den Streifen vor dem totalen Untergang)