Auf der Flucht im eigenen Land
Verfasst: Do 3. Apr 2008, 09:19
Was mich wirklich betroffen gemacht hat:
Quelle(Thüringen)
Auf der Flucht im eigenen Land
Fremdenfeindlichkeit: Pfarrerfamilie kehrt in den Westen zurück - «Es ging nicht mehr»
Rudolstadt/Erkelenz/MZ. Die zuständige Oberkirchenrätin versucht gar nicht erst, die Sache schön zu reden. "Ich finde das gelinde gesagt katastrophal", sagt Marita Krüger. Dann setzt die Protestantin aus dem thüringischen Eisenach hinzu: "Es ist im Osten Deutschlands manchmal nicht leicht, wenn man anderer Hautfarbe ist." Fremdenfeindlichkeit existiere auch in Kirchengemeinden - in Ost und West.
Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer und seine Familie sind augenscheinlich Opfer dieser Fremdenfeindlichkeit geworden. Im Jahr 2000 zog das Ehepaar Neuschäfer aus dem Rheinland in die thüringische Kleinstadt Rudolstadt, die für sich selbst damit wirbt, "heimliche Geliebte Schillers" zu sein. 2007 haben das Paar und die inzwischen fünf Kinder die Flucht ergriffen: von Deutschland Ost nach Deutschland West.
Haus gekauft
Neuschäfer, in Köln-Kalk geboren und als Pfarrer in Gummersbach und Bergneustadt tätig gewesen, war in Thüringen die Stelle eines Schulbeauftragten angeboten worden. Er griff zu. Der 40-Jährige erteilt Religionsunterricht an staatlichen Gymnasien in Saalfeld und Bad Blankenburg. Und er betreut 300 andere Lehrer, die es ihm in Südthüringen gleich tun. Neuschäfer mag seinen Job. Die Familie hat sich in Rudolstadt ein Haus gekauft. Sie kam, um zu bleiben.
Das allerdings erwies sich als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Denn Miriam Neuschäfer hat eine indische Mutter. Sie selbst und ihre Kinder haben schwarze Haare und eine dunklere Hautfarbe als andere Menschen in Thüringen. "Wir sind nicht mal schwarz-braun, sondern relativ hell", sagt sie. "Aber es hat gereicht." Beleidigungen waren an der Tagesordnung. Ein Kind kam aus der Schule mit der Frage nach Hause: "Mama, was ist ein Nigger?" Der älteste Sohn Jannik Jonas wurde in der Schule von Gleichaltrigen verprügelt - und musste zwei Wochen zu Hause bleiben. Die Schulleitung, sagt Neuschäfer, unternahm wenig. Eine Entschuldigung von Eltern der kleinen Schläger - Fehlanzeige. Schlimmer für den Jungen waren womöglich seelische Kränkungen. So wurde Jannik Jonas in den sieben Jahren seines Rudolstädter Lebens nicht einmal zu einem Kindergeburtstag eingeladen.
Miriam Neuschäfer sagt, sie sei in der Öffentlichkeit grundsätzlich geduzt worden. In manchen Geschäften habe man sie nicht bedient. ",So was hat man früher zwangssterilisiert!' - das haben mir die Leute ins Gesicht gesagt." Die 32-Jährige erklärt: "Wir sehen ein bisschen anders aus. Wir haben auch ein, zwei Kinder mehr als andere Familien." Zudem sei die Abneigung gegen die Kirche im Osten stärker als im Westen. Während Herr Neuschäfer wenigstens beruflich integriert war, lebten Frau Neuschäfer und die Kinder im Alter von zehn, acht, fünf, drei und einem Jahr in fast vollständiger Isolation. Irgendwann, sagt sie spürbar verzweifelt, "ging es nicht mehr".
Im vorigen Herbst bezogen die Neuschäfers einen "Zweitwohnsitz" im rheinischen Erkelenz; dort haben sie familiäre Kontakte. Und Reiner Andreas Neuschäfer pendelt seitdem jede Woche zwischen Rudolstadt und Erkelenz. Die Distanz beträgt 430 Kilometer. Weil das auf Dauer kein Zustand ist, sucht der keineswegs verbitterte Mann jetzt eine Stelle im Rheinland. Die rheinische Landeskirche weist ihn auf freie Stellen hin. Ganz einfach ist der Wechsel nicht. "Es ist schwierig, vom Osten in den Westen zurückzugehen", sagt Neuschäfer. "Osterfahrung ist eher nicht das, was gesucht wird." Mauern stehen nicht bloß in Thüringen.
Ärger mit der Kirche
Zuletzt hatte Neuschäfer auch noch Ärger mit der Kirchenleitung. Er hatte in der Kirchenzeitung "Glaube und Heimat" einen Artikel veröffentlicht, in dem er sich mit der Hetzjagd auf Inder im sächsischen Mügeln befasst. Darin verweist er auf die Erfahrungen seiner Familie: "Eine ebenso unheimliche wie unterschwellige Feindlichkeit gegenüber Fremdem, Unheimlichem und Anderem gibt es bei uns in Ostdeutschland sowohl bei "den" Rechten als auch bei "den" Linken. (...) Auch im Raum der Kirche sind nicht automatisch alle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit!" Die Kirchenleitung habe ihn aufgefordert, solche Beiträge nicht nochmal zu veröffentlichen, so Neuschäfer. Mancher Leser habe sich auf den Schlips getreten gefühlt. Das dürfte den Entfremdungsprozess zwischen den Neuschäfers und ihrer Umwelt weiter voran getrieben habe. Einen Monat nach Mügeln verließen sie Rudolstadt. Das Fazit des Pfarrers ist kurz: Wenn die Ostdeutschen das fremdenfeindliche Erbe der DDR nicht aufarbeiteten, werde das Problem nicht zu lösen sein.
Das Schicksal der Familie sorgt unterdessen auch in der Politik für Reaktionen. "Dass Menschen sich - zugespitzt formuliert - im eigenen Land auf die Flucht machen müssen, kennt man eigentlich nur aus nichtdemokratischen Ländern", sagt Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses. "Es sollte im 21. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit sein, ohne Angst verschieden sein zu können."
Rudolstadts parteiloser Bürgermeister Jörg Reichl indes betont: "Mir sind außergewöhnliche Vorkommnisse nicht bekannt. Es wird manches übertrieben. Hier herrscht keine Ausländerfeindlichkeit." Pfarrer Neuschäfer sieht das anders. "Einzelne haben uns Mut gemacht. Aber wir sind nicht prädestiniert dafür zu kämpfen. Wir können unsere Familie nicht zum Opfer machen." In Erkelenz gebe es keine Anfeindungen. "Den Kindern geht es wunderbar. Das ist wie ein neues Leben."