Wie der eine oder andere ja sicher schon mitbekommen hat ( ) finde ich den Phantomcenter gerade im Wohnzimmer unter bestimmten Umständen (und nur unter diesen!) eine interessante Alternative zum Center-Speaker. Damit nicht andere Themen in denen es um konkrete Set-ups geht, nicht zu sehr Off-Topic geführt werden bzw. immer die gleichen Dinge diskutiert werden, wollte ich mal einige Aspekte zur Frage des Phantomcenter im Mehrkanalbetrieb zusammentragen. Außerdem wollte ich meine Meinung etwas differenzierter darlegen - leider entsteht in Diskussionen immer der Eindruck als gäbe es zu jeder Diskussion nur zwei Seiten (entweder ist man dafür oder dagegen), was natürlich Unsinn ist. Es gibt differenzierte Positionen die sich je nach Rahmenbedingungen, Annahmen und Kontext dann in die eine oder andere Empfehlung münden können.
Die offensichtlichste Frage natürlich zuerst:
Wenn doch im Standard und Quellmaterial ein Center-Kanal vorgesehen ist, ist dann nicht ein Center-Speaker die beste Wahl?
Ja, grundsätzlich ist unter idealen Bedingungen ein Center-Speaker die bessere Wahl. Ideal bedeutet drei identische und gleichartig aufgestellte Lautsprecher. Wenn man also eine transparente Leinwand hat und drei NV14 in der Front gemäß den üblichen Empfehlungen aufstellen kann, dann sollte man das machen. In einem dedizierten Heimkino wird sich daher die Frage nach einem Phantomcenter auch nicht stellen.
In einem Wohnzimmer verfolgt man aber viele konkurrierende Ziele und landet im Ergebnis immer bei Kompromissen bei denen dann entweder die Optik oder die Akustik (oder der Geldbeutel ) oder alles zusammen mal mehr, mal weniger leidet. Hauptproblem ist schon, dass in Wohnzimmern meist ein TV Gerät steht, und dass man sowohl die Hochtöner auf Ohrhöhe haben will, als auch das Bild auf Augenhöhe. Beides gleichzeitig ist mit einem Centerspeaker nicht möglich. Wenn man dann noch Restriktionen von vorhandenen Möbeln/Einrichtung etc. dazu nimmt führt das dazu, dass manchmal eine Lautsprecher-Aufstellung entsteht bei der man mit einem Center kaum etwas gewinnt, aber manches verliert. Hier lohnt es sich objektiv die Stärken und Schwächen abzuwägen und ausgedehntes Vergleichshören zu machen. Meine These: Mancher wird sich für den Phantomcenter entscheiden (und andere natürlich für den Center-Speaker).
Aber eins nach dem anderen. Bevor man sich gegen einen Center-Speaker entscheidet, sollte man
(1) Zuerst die Vorteile und Stärken des Center-Speakers verstehen.
(2) Dann die Umstände verstehen welche sich schlecht auf einen Center-Speaker und/oder günstig/neutral auf den Phantomcenter auswirken.
(3) Zum Schluss ein Fazit und Beispiele
(1) Vorteile und Stärken des Center-Speakers
Das Center-Signal in den gängigen Surround-Standards kommt nicht von ungefähr. Sondern ist natürlich eine direkte Antwort auf die Schwächen/Probleme die man mit Phantomschallquellen bei Stereo hat. Wie mancher vielleicht weiß, war es sogar damals als das Stereo-Format festgelegt wurde so, dass es ein alternatives 3-Kanal Stereo Format gab (immerhin schon 1933) was sich aber (leider) nicht durchsetzte. Auch noch mehr Kanäle wurden in den 50ern immer wieder mal ins Gsespräch gebracht.
http://www.audiosignal.co.uk/Resources/ ... els_A4.pdf
Um mal aus Toole zu zitieren:
https://books.google.de/books?hl=de&lr= ... fnd&pg=PR3"The number of channels will depend upon the size of the stage and listening rooms, and the precision in localization required. ... For a use such as rendition of music in the home, where economy is required and accurate placement of sources is not of great importance if the feeling of separation of sources is preserved, two-channel reproduction is of real importance."
[...]
So two channels were understood to be a compromise, “good enough for the home,” or words to that effect, and that is exactly what we ended up with. The choice had nothing to do with scientific ideals but with technical reality that at the time stereo was commercialized, nobody knew how to store more than two channels in the groove of an LP disc."
Die Vorteile eines Center-Speakers im Einzelnen:
(a) Bessere Lokalisation außerhalb des Sweet Spots
Die mittige Ortung einer Phantomschallquelle funktioniert dann perfekt, wenn man im Sweetspot sitzt. Sie ist aber sensitiv bezogen auf Pegel als auch auf Laufzeitunterschiede. Im Surroundsetup sind die Laufzeitunterschiede das größte Problem. Schon wenn einen das gleiche Schallsignal 1,5ms früher von einem LS als vom anderen erreicht, verschiebt sich die Lokalisation zu 100% auf den näheren Lautsprecher. 1,5ms = 51cm bei 34cm/s Schallgeschwindikgeit.
http://www.sengpielaudio.com/HoerereignRichtungDt.pdf
(b) Keine Auslöschungen im sprach-kritischen Frequenz-Bereich
Wenn zwei LS im Stereodreieck das gleiche Signal wiedergeben, entsteht im Sweet-Spot bei 1,8 - 2 kHz ein leichte Senke von 3-4db im Freqeunzgang durch Auslöschungen. Das ist ein fundamentales Problem bei Stereo. D.h. es handelt sich hierbei nicht um raumbedingte Probleme, sondern das Problem tritt auch in einem theoretisch perfekten Ton-Studio auf. (Im Gegenteil kann das Problem durch den höheren Diffussschallanteil in normalen Räumen sogar eher gemildert werden.) Diese Absenkung wirkt sich in der Regel (auch das ist statistisch nachgewiesen) auf die Verständlichkeit aus. Wie groß ist der Effekt? Laut Shirly (2007) steigt die Worterkennungsrate um 4,1% mit einem physischen Center, im Versuchsaufbau war es dann bspw. 15 statt 14 korrekt erkannte Wörter aus 25 im Durchschnitt. Statistisch signifkant und reproduzierbar. Wobei sich das natürlich alles auf schwierig verständliche Wörter bezog (Speech in Noise, d.h. lauter Hintergrund-Gebabbel und Krach).
https://books.google.de/books?hl=de&lr= ... fnd&pg=PR3 (9.1.3)
http://www.researchgate.net/profile/Pau ... 000000.pdf
(2) Umstände verstehen welche sich schlecht auf einen Center-Speaker und/oder günstig/neutral auf den Phantomcenter auswirken
Da wir alle nicht in dedizierten Heimkinos mit akustisch maximal optimierten Räumen sitzen, sondern wie Eingangs geschrieben meist in pragmatischen Kompromissen das eben noch machbare anstreben, spielen natürlich weiterer Effekte eine Rolle. Zu allererst mal das Thema unterschiedlich klingende Lautsprecher.
Mir ist kein Fall bekannt wo einem Stereo-Hörer ein paar unterschiedlicher Lautsprecher empfohlen wurde. Selbst bei Don Kuleone wo die Treppe ein limitierender Faktor auf einer Seite war, hat keiner empfohlen links eine NV14 und rechts eine NV10 zu stellen. Das ist so selbverständlich, dass ich nicht ein einziges Thema gesehen habe wo diese Selbverständlichkeit auch nur in Frage gestellt oder diskutiert wurde.
Und dennoch ist es beim Thema Center-Speaker völlig normal auf andere Lautsprecher zu verweisen. Man will aus optischen und pragmatischen Gründen eben etwas quer liegendes haben. Das klingt dann unterm Stich erstmal anders. Nubert bedient hier eine Nachfrage, genauso wie sie bei den Kompaktlautsprechern auch Hinweise geben worauf man achten soll wenn man sie ins Regal stellt oder gar legt - aber jeder der es mal probiert hat weiß wieviel besser ein freistehender Lautsprecher klingt. Von der Soundbar will ich gar nicht anfangen.
Das allein ist natürlich kein Grund auf einen Center zu verzichten - ich will nur dafür sensibilieren, dass schon durch den anderen LS und die andere Aufstellung eine Inhomogenität entsteht.
Da der Phantomcenter kein physikalischer Lautsprecher ist, hat er naturgemäß auch keine Probleme mit der oben dargestellten aufstellungsbedingten Inhomogenität. Er ist ja ein Produkt aus den beiden Fronts. Und je besser (und gleichmäßiger) die Fronts stehen umso besser wird auch ein Phantomcenter gefallen was die Homogenität angeht (es gibt aber den besagten Dip, jedenfalls im Sweetspot). D.h. gerade in Setups bei denen Stereo eine sehr gewichtige Rolle spielt wird man die Fronts vermutlich schon sehr gut aufgestellt haben. Wenn man sich das durch den Center in dem Punkt Homogenität nicht verschlechtern will, steigen die Anforderungen an die Aufstellung des Centers sehr. Bei schlechter stehenden Fronts bleiben natürlich die Unterschiede zwischen den Fronts weiterhin bestehen (die verschwinden aber auch nicht, wenn man noch einen Center dazustellt).Exkurs: Warum ist Homogenität so wichtig?
Es geht dabei nicht um das Thema ob es so schöner ist oder nicht, sondern darum dass das Gehör tonale Unterschiede und Klangverfärbungen als Indiz heranzieht um auf andere Dinge wie Richtung und Entfernung zu schließen. Und wenn das passiert ist unser Gehirn sehr gut dabei diese klanglichen Unterschiede herauszufiltern, sodass wir das "Originalsignal" wahrnehmen. (S. 150 bei Toole). Beispiel: In einer natürlichen Umgebung klingt die Stimme des Lebenspartners aus dem Nachbarzimmer trotzdem "normal", während die gleiche Person verschnupft vor uns völlig fremd klingt obwohl die Unterschiede beide Male sehr groß sind, aber eben nur bei ersteres Situation vom Gehirn "weggefiltert" werden. Diese Funktionsweise wird bspw. auch gezielt bei Aufnahme und Mastering genutzt um Rauminformationen/Tiefeninformationen auf die Aufnahme zu bekommen.
D.h. tonale Unterschiedliche wirken genauso wie Raumeinflüsse und andere Störeinflüsse auf die "Raum-Illusion", denn es gibt jetzt Unterschiede die niecht mehr ganz zusammenpassen und nicht korrekt interpretiert/weggefiltert werden. Dadurch dezimiert sich Natürlichkeit der Raumillusion. Genauso wie ein Film unnatürlicher wirkt wenn er pixelig dargestellt wird, oder die Bildfrequenz auf 15Hz fällt.
/Ende Exkurs
Je näher der Center am Boden steht (im Vergleich zum Hochtöner der Fronts), umso schlechter wird es akustisch. Genauso der Einfluss vom Möbel/Racks/etc. auf denen oder in dessen Nähe der Center steht. Der klingt dann nicht mehr wie ein frei aufgestellter Lautsprecher, sondern mehr wie ein ins Regal quer gelegter Lautsprecher eben so klingt.
(3) Fazit & Beispiele
Das naheliegende Fazit ist dementsprechend: Je mehr Einflüsse die Vorteile des Centers reduizeren, und je mehr Einflüsse die negativen Aspekte eines Center-Speakers steigern, bzw. die Vorteile des Phantomcenters betonen, umso eher lohnt es sich einen Ergebnis-offenen Vergleich durchzuführen was in der konkreten Situationen besser passt. Neben den quantifizierten und untersuchten Aspekten, gibt es ja noch andere Unterschiede die man eben für sich selbst heraushören und beurteilen muss, wenn nicht objekitv, dann wenigstens nach der Präferenz.
Relevante Indizien:
- Stereobreite der Fronts
- Qualität der Aufstellung der Fronts vs Qualität der geplanten Aufstellung des Centers
- Laufzeitunterschiede von jedem der geplanten Hörplätze zu den beiden Fronts.
- Ist die Stereo-Ortung bereits eher sehr scharf oder diffus räumlich?
Wenn die Fronts natürlich schon schlecht aufgestellt sind, dann wird das auch durch Weglassen des Centers nicht besser. Im Gegenteil dann kann ein Center wieder positiv wirken. Wenn die Wiedergabe des gleichen (Mono-/Center-)Signals auf zwei Lautsprechern (L+R) zu einem massiv schlechteren Klang führt als bei Wiedergabe über einen Center-Speaker, kann man sich tatsächlich schonmal fragen ob man nicht doch nochmal ran muss und versuchen sollte bei der Aufstellung der Fronts oder der Raumakustik nochmal was rauszuholen. Kann, aber muss natürlich nicht der Grund sein.
Zum Abschluss noch zwei Beispiele:
Beispiel (i): Die Fronts stehen unmittelbar neben dem Rand des Fernsehers (Stereobreite 1,2 Meter). Entfernung zum Hörplatz 3 Meter.
Selbst wenn ein seitlicher Hörplatz in einer Linie vor dem linken Front-Lautsprecher ist, dann sind die Laufzeitunterschiede ca. 0,5ms (23cm Distanzunterschied zu FL vs FR), d.h. ein eigentliches Mittiges Signal wird 50% seitlich zum näheren LS verschoben wahrgenommen, also auf etwa 1/4 der Stereobreite. Interessanterweise liegt es damit immer noch in der Bildfläche. Wohingegen ein Center auf jedem der Hörplätze unterhalb und damit außerhalb des Bildes wahrgenommen wird. In der Praxis wird das Gehirn natürlich die Klänge eh dem Bild zuordnen. Aber man sieht, dass hier kein Lokalisationsvorteil da ist, selbst wenn man zu dritt mit jeweils 80cm Sitzbreite zuschaut. Die Verständlichkeit im Sweetspot kann man bei Bedarf durch einen Griff in den EQ ebenfalls verbessern. Einfach bei 2kHz etwa 3db dazu geben. Aber zuerst prüfen ob es überhaupt notwendig ist.
Beispiel (ii): Standlautsprecher als Fronts. ca. 2,4 Meter Stereobreite, Abstand zur Basislinie 2,8 Meter. Die LS sind liebevoll im Raum platziert (Abstand Rückwand 1 Meter, Seitenwände 1,3 Meter). Der Fernseher steht weiter hinten damit s zwischen den Lautsprechern frei bleibt und ist vertikal so platziert, dass die Mitte der Bildfläche auf Hochtönerhöhe ist. Der Rest der Rückwand ist frei. Ein Center soll nicht oberhalb des TV platziert werden, da er dann zu dominant wirken würde und an die Wand geklatscht wäre. In das Lowboard soll er nicht, da der Center dann nur 30-40cm vom Boden weg wäre und so viele ungünstige Reflexionen erzeugen würde (tonale Inhomogenität). Es wird meist zu allein oder zu zweit geschaut. Die Laufzeitdifferenz beträgt auf den Hauptplätzen 0,4ms und sind damit unwesentlich. Ein kurzer Hörtest bescheinigt, dass ein Phantomcenter keine Wünsche übrig lässt.
FAQ
Frage: Ich mag es aber besser mit Center.
Antwort: Das ist erstens keine Frage, zweitens werden die meisten Leute (zurecht!) ein Setup mit Center vorziehen. Und drittens: Wenn du glaubst ich hätte etwas anderes geschrieben, dann hast du leider nicht verstanden worum es mir in dem Beitrag ging.
Zum Schluss - das ganze ist viel zu lang geworden. Naturgemäß verkürzt man schonmal etwas oder vertut sich auch bei manchen Dingen. Bitte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Das sollte ja keine wissenschaftliche Arbeit werden, sondern etwas auf das ich im Zweifel mal verlinken kann. Korrekturen, Ergänzungen und abweichende bis gegenteilige Meinungen sind willkommen. Seid nicht zu hart mit mir...