Genussmensch hat geschrieben:Ich will meine Theorie noch ein wenig präzisieren. Sie ist inspiriert durch die wichtigen Hinweise horchs , wonach ein Hörvorgang unendlich viel komplexer ist als das reine physikalische Erfassen akustischer Signale, und durch die Schilderungen von Prince, der auf den Lernvorgang während des konzentrierten Abgleichens hinwies.
Meine Ausgangsannahme ist, dass unser Gehirn jegliche Sinneseindrücke, also auch Höreindrücke, interpretiert, und zwar so interpretiert, dass ein möglichst klares Ergebnis am Ende des Prozesses steht. Meine zweite Ausgangsannahme ist, dass wir im Bereich des Hifi über sehr geringe klangliche Unterschiede reden, im Bereich der Hifi-Elektronik sogar nur noch über klangliche Nuancen. Was bedeuten diese Hypothesen nun für die Situationen des unverblindeten und des verblindeten Vergleichens?
Unverblindeter Vergleichstest:
Wir sind in dieser Situation darauf programmiert, Unterschiede wahrnehmen zu wollen. Zunächst einmal dürfte das oft sehr schwer fallen, da die Unterschiede eben sehr gering sind. Also bedarf es des sehr konzentrierten, über einen längeren Zeitraum durchgeführten Hörens. Dann schafft es unser Gehirn irgendwann, die feinen und sehr feinen Unterschiede auch als solche zu interpretieren. Das heißt, mit zunehmender Hördauer werden die Unterschiede in der Wahrnehmung größer. Das möchte ich jetzt aber bewusst nicht als Einbildung bezeichnen, sondern als komplexe Interpretationsleistung unseres Gehirns. Wenn dieser Lernvorgang abgeschlossen ist, werden wir in der Lage sein, unter genau diesen äußeren Rahmenbedingungen (also mit der gleichen Anlage in den gleichen Räumlichkeiten etc.) das passende Interpretationsprogramm abzurufen. Wohlgemerkt: Es geht mir hier nicht um den - fraglos vorhandenen - Plceboeffekt schöner und hochwertiger Komponenten, der sicher ein gehöriges Maß zum Klanggenuss beiträgt; es geht mir einzig und allein darum, dass real vorhandene, aber eben sehr feine Nuancen durch den Lernvorgang des Gehirns schließlich deutlich und klar wahrgenommen werden können. Und dann kann es genau dazu kommen, dass diese, nunmehr deutlich wahrgenommenen Nuancen, die entscheidenden sein können.
Blindtest:
Wie verhält es sich nun im Blindtest? Auch hier gehe ich wieder von der Grundannahme aus, dass unser Gehirn ein eindeutiges Ergebnis hören will. Wenn nun die wahrgenommenen Unterschiede äußerst gering sind, so dürfte das nach meiner Vermutung dazu führen, dass unser Gehirn - genau umgekehrt zu der oben beschriebenen Situation - diese geringen Unterschiede als entbehrlich interpretiert. Das Gehirn hat hier keine Anhaltspunkte, die aber nach meiner Hypothese notwendig sind, um Unterschiede als solche erlernen zu können. Mangels Anhaltspunkten bleibt also eine letztlich chaotische Wahrnehmung, die seitens des Gehirns in Richtung Eindeutigkeit gebracht werden will. Es werden also voraussichtlich von Durchlauf zu Durchlauf die Unterschiede in unserer Wahrnehmung immer geringer werden, bis sie schließlich ganz verschwinden. Entspricht das den Erfahrungen derjenigen, die an solchen Blindtests teilgenommen haben? Genau wegen dieses zu erwartenden Interpretationsprozesses in Richtung "klingt gleich" halte ich unvorbereitete Blindtest für prinzipiell ungeeignet. Die Blindtests könnten aber dann sinnvoll sein, wenn ein Lernprozess, wie oben beschrieben, abgeschlossen ist, und nun - unter sonst gleichen Bedingungen (gleiche Anlage, gleicher Raum etc) - das Gelernte verblindet nachvollzogen wird. Dann sollte es möglich sein, die Unterschiede auch verblindet noch wahrzunehmen.
Viele Grüße
Genussmensch
Ich möchte noch einmal meine eigenen Gedanken nach oben holen. Sie passen, wie ich finde, ganz gut zu den Schilderungen von FamilyMan. Meine Vermutung ist, dass, hätten FamilyMan und sein Kumpel damals ohne vorheriges sorgfältiges Vergleichshören einen Blindtest mit Pegelabgleich durchgeführt, dieser feine Unterschied untergegangen wäre, und zwar - und das ist jetzt das Entscheidende -
auch dann, wenn dieser Unterschied tatsächlich vorhanden gewesen sein sollte.
Ich finde es sehr bedauerlich, dass ausgerechnet die Verstärkerklanggegner
missionare - und ich nehme hier die Verstärkerklangskeptiker ausdrücklich aus (denn Skepsis ist eine notwendige Voraussetzung, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen) - sich mit dem entscheidenden Glied ihrer Argumentationskette (ja ich weiß, "Kette" ist ein böses und verbotenes Wort, da dem High-End-Lager zuzurechnen
), nämlich dem Blindtest, nicht auseinandersetzen wollen. Die Missionare werden an dieser Stelle genauso dogmatisch wie die von Ihnen bekämpften "Goldohren", die sich ja bekanntlich ausschließlich auf ihr Gehör berufen und diese Wahrnehmung nicht bereit sind, in Frage zu stellen. Und das penetrante Verlinken auf den Blog eines Autors, der seine Ergüsse selbst als Klugscheißerei einstuft, ersetzt eine eigene Argumentation nicht.
Bei sorgfältig dokumentierten Blindtests, nicht nur im Hifi-Bereich, liest man immer wieder davon, dass anfänglich wahrgenommene feine Unterschiede im Verlaufe des Tests immer geringer werden, bis sie sich schließlich gänzlich verflüchtigen. Ich bin deshalb nicht so recht überzeugt von Bertis pauschaler Antwort auf meinen oben zitierten Beitrag, es seien bei den Blindtests von Anfang an nie irgendwelche Unterschiede wahrzunehmen.
Wenn der Befund, dass in Blindtests anfänglich wahrgenommene Unterschiede von Durchlauf zu Durchlauf geringer werden, zutreffen sollte, dann stellt sich die Frage nach dem Grund hierfür. Es gäbe dann zwei mögliche Interpretationen: Zum einen könnte es sein, dass sich der Fabelklang und das ganze Gespinst an frei phantasierten Pseudowahrnehmungen in Luft auflösen und sich endlich die Wahrheit in ihrer unerbittlichen Klarheit und Schönheit offenbart. Zum anderen aber könnte es sein, dass sich schlicht ein wahrnehmungsspezifisches Phänomen vollzogen hat.
Deshalb wäre es so interessant, wenn in einer Situation wie der von FamiliyMan beschriebenen im Anschluss an die sorgfältig herausgehörten Unterschiede (im Beispiel die Glöckchen) ein Blindtest durchgeführt würde. Und auch hier wäre es interessant, ob durch Übung das Ergebnis des Blindtests beeinflusst werden könnte. Ein solcher Test könnte so aussehen, dass man zwischendurch immer wieder unverblindet hören darf, um sich den abgespeicherten Klang noch einmal "vor Ohren" zu führen. Erst ganz am Schluss käme die eigentliche Blindtestreihe, bei der man dann beweisen müsste, ob man in der Lage ist, in statistisch relevanter Weise eine Zuordnung vornehmen zu können.
Einen solchen Test fände ich wirklich spannend. Vielleicht könnte man ihn an einem NuDay bei Nubert durchführen und hier im Forum dokumentieren?
Viele Grüße
Genussmensch
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